Medikamentenabhängigkeit


altWenn ohne nichts mehr geht

Ca. 1,4 – 1,8 Mio. Menschen schlucken täglich Psychopharmaka. Zum Vergleich: 250.000 – 300.000 Menschen sind drogenabhängig. Die häufigsten (ca. 80%) von Ärzten verordneten Medikamente sind Benzodiazepine (Valium, Diazepam, Tavor). Diese Mittel gibt man häufig zur Dämpfung von Angsterkrankungen. Solche Medikamente führen schon nach ca. 6 – 10 wöchiger Einnahme zur Abhängigkeit.

Stark zugenommen haben auch Schlafmittelabhängigkeiten. Was aber viele nicht wissen: Auch frei verkäufliche Schlaf- und Beruhigungsmittel, Schmerzmittel (Ibuprofen, Paracetamol), oder auch Hustenmittel mit Codein machen recht schnell psychisch oder physisch abhängig. Vergessen sollte man auch nicht die Gruppe der Aufputschmittel oder Appetitzügler und Abführmittel, die eine ähnliche Struktur aufweisen. Dazu kommt noch, dass die Mehrheit der Medikamentenabhängigen noch zusätzlich ein Alkoholproblem haben.  Psychische Symptome einer Abhängigkeit sind z.B. Interessenverlust, Stimmungsschwankungen, Ängstlichkeit und Unruhe. Körperlich macht sich die Abhängigkeit durch Schläfrigkeit, starkes Schwitzen, Übelkeit und Gleichgültigkeit bemerkbar.

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Medikamente, die ein Abhängigkeitsrisiko haben, aber nicht zum Missbrauch führen, sind z.B. Abführmittel, Nasentropfen, blutdrucksteigernde und -senkende Medikamente.

Die Einnahme  von Benzodiazepinen über einen Zeitraum von drei Monaten kann schon psychisch abhängig machen; bis es zu einer physischen Abhängigkeit kommt, dauert es etwas länger.

altEine Therapie erfordert Zeit, da viele Mittel nicht einfach abgesetzt werden können, sondern ausgeschlichen werden müssen. Es gibt eine Faustregel, die besagt, dass man pro Einnahmejahr einen Monat Entzugszeit rechnen sollte. Die Entwöhnungsphase dauert zwischen einem und eineinhalb Jahren.

Der Entzug kann bei manchen Medikamenten ambulant erfolgen, aber bei Benzodiazepinen und Schlafmittel zum Beispiel wird oft eine Entgiftung in einer Klinik verordnet. Zusätzlich zur reinen Entgiftung, schließt sich meist eine Therapiebegleitung von Entspannungsübungen, Ergotherapie, Entspannungsmethoden oder der Besuch von Selbsthilfegruppen an.

Die Entzugserscheinungen sind ähnlich der Alkoholabhängigkeit: Es können Angstattacken, Unruhe, Zittern, Schlafstörungen, Kreislaufzusammenbrüche bis hin zu Psychosen auftreten. Da sich viele Medikamente im Fettgewebe ablagern, kann eine Entgiftung ziemlich lange dauern.

Vera T.

focus.de
palverlag.de

Erfahrungsbericht


Nach 10jähriger Abhängigkeit habe ich es geschafft: Seit 2 Jahren nehme ich keine Benzodiazepine und Schlafmittel mehr.
 
Der Weg dahin war gar nicht so leicht. Vor 6 Jahren hatte ich es schon mal versucht, einen Entzug zu machen, damals dachte ich noch, dass ich kein Tavor, Diazepam und kein Zopiclon mehr bräuchte um ruhiger zu sein, keine Angst- und Panikattacken mehr zu haben und wieder schlafen zu können. Ich schaffte es auch, 6 Monate diese Mittel nicht mehr zu nehmen, danach aber wurde ich wieder so instabil, dass die Ärzte diese Mittel wieder ansetzten und auch wieder in der Dosierung, die ich vorher hatte. Der Grund, vor 2 Jahren erneut einen Entzug zu machen, war der, dass ich nochmal eine Traumatherapie in der Klinik machen wollte, in der ich vor ein paar Jahren schon eine Intervalltherapie gemacht hatte. Voraussetzung für diese Traumatherapie war es, dass ich „clean“ bin und es auch mindestens 6 Monate bleibe, denn erst danach konnte ich einen erneuten Aufnahmeantrag stellen. Diesmal wollte ich einen Entzug in einer Klinik machen. Obwohl die Ärzte mir keine große Hoffnung machten, dass ich den Entzug schaffe, habe ich mich in der Klinik angemeldet. Auch meinten sie, dass ich es wohl aufgrund meiner Krankengeschichte nicht durchhalten würde, später doch wieder zu den Benzodiazepine greifen zu wollen oder zu müssen.

altDen Entzug in der Klinik habe ich als nicht so schlimm empfunden, wie mir andere versucht hatten,  weis zu machen. Doof fand ich allerdings, dass auf der Station fast nur Alkoholabhängige einen Entzug gemacht haben. Es waren doch auch ein paar Frauen da, die aber ebenfalls Alkoholikerinnen waren. Enttäuscht hat mich, dass bei den Alkoholabhängigen die Entgiftung maximal 4 Tage dauerte und sie dann auf die Therapiestation wechselten  und damit auch die Station verlassen durften. Ich hatte aber in der Zeit der Entgiftung keine Therapie, außer jeden Tag ein 10minütiges Gespräch mit der Sozialarbeiterin. Auch durfte ich die Station nicht verlassen. Nach 14 Tagen hatte ich es endlich auch geschafft. Ich brauchte dann nicht auf die Therapiestation, sondern wurde gleich nach Hause entlassen.

Die Entgiftung hatte bei mir so lange gedauert, weil man die Tabletten nicht einfach auf einmal absetzen konnte, sondern erst mal auf ein besser zu dosierendes Benzodiazepine wechseln musste, das dann langsam ausgeschlichen wurde. Dazu wurde noch ein Epilepsiemedikament verordnet, damit keine Krämpfe oder epileptischen Anfälle auftreten konnten, die bei so einem Entzug möglich sind. Diese Mittel haben aber enorme Nebenwirkungen gehabt, besonders traten bei mir Sehstörungen auf, dass ich nicht mal mehr malen und auch nur ab und zu lesen konnte. Ich hatte mir so viele Bücher und Mandalas mitgenommen, weil im Vorgespräch schon gesagt wurde, dass ich eine bestimmte Zeit keine Therapien haben würde. So blieb mir eigentlich nur das Rauchen und Kaffeetrinken.

Beim Rauchen war es so, dass es dort ein Raucherzimmer gab, das aber nur aus einem Raum bestand, in dem ein Stuhl und ein Hocker waren, es durften dorthin auch keine Getränke mitgenommen werden. Beim Kaffee war es so, dass es nur morgens von der Station Kaffee gab, wenn man darüber hinaus noch einen Kaffee wollte, musste man sich Pulverkaffee besorgen. Da war aber die Gefahr, dass sogar aus dem Zimmer dieser Kaffee genommen wurde. Wenn man sein Glas in den Küchenschrank für Patienten stellte, konnte es sein, dass bereits am nächsten Tag dieser um ein Viertel weniger war.

Ich habe es geschafft und es macht mich ein bisschen stolz, dass ich die  Benzodiezepine und Schlafmittel nicht mehr brauche. Übrigens, die Trauma-Therapie habe ich vor eineinhalb Jahren gemacht und sie hat mich ein großes Stück weitergebracht. Ich leide noch immer unter Schlafstörungen, aber ich versuche, diese mit anderen Medikamenten, die nicht süchtig machen, irgendwie in den Griff zu bekommen. Ich glaube, ich bin auf dem richtigen Weg.

SOS und Medikamentenberg von Andrea Damm, pixelio.de

Vera T.