Demenz – Wenn das „ICH“ verloren geht


(c) Gerd Altmann/Pixelio

Demenz – Wenn das „ICH“ verloren geht

Unter Demenz versteht man das Nachlassen geistiger Fähigkeiten, insbesondere im Alter.

Die häufigste Form ist die Alzheimer-Krankheit mit einem Anteil von 50 – 60% der Betroffenen, an zweiter Stelle steht die gefäßbedingte Demenz mit etwa 20% der Fälle. Entscheidend ist, dass bereits erworbene Fähigkeiten verloren gehen und es sich nicht um ein angeborenes Defizit handelt.
Betroffen sind hauptsächlich Menschen ab einem Lebensalter von 65 Jahren. Nach einer Studie wird sich die Zahl der demenzkranken Menschen bis in vierzig Jahren auf über 2,5 Mio. verdoppeln, weil das Alter ein Hauptrisikofaktor ist und unsere Gesellschaft immer älter wird.
Die Betroffenen verlieren mehr und mehr ihr Denkvermögen und ihr Bewusstsein, Erinnerung, Aufmerksamkeit, Lernfähigkeit, Orientierung und ihr Wille sind nur noch eingeschränkt vorhanden. Die gesamte Persönlichkeit wird in Mitleidenschaft gezogen, d.h. der Charakter und das Temperament können sich verändern, sodass ein einstmals lebensfroher Mensch in einem Gefühl von Niedergeschlagenheit und Apathie versinkt. Oft liegt  der Krankheit eine unerkannte Depression zugrunde. Angst-Störungen und Halluzinationen werden ebenfalls beschrieben. Demenzkranke leben im fortgeschrittenen Stadium in einer eigenen Welt, in der Alltägliches zur Bedrohung werden kann. Aufgrund dieser Beeinträchtigungen erfolgt zwangsläufig ein Rückzug aus dem sozialen Leben und der Verlust von Kontakten und Beziehungen, was so weit gehen kann, dass selbst Familienmitglieder nicht mehr erkannt werden – frustrierend ist das für beide Seiten. Schlussendlich führt die Demenz zur Pflegebedürftigkeit, weil die Betroffenen irgendwann selbst ihre Körperfunktionen nicht mehr steuern können und in ihren Bewegungen unsicher werden, was z.B. die Gefahr von schweren Stürzen mit sich bringt.
In diesem Stadium stellt sich für Angehörige die Frage, wie und von wem die Pflege erfolgen soll. Manch einer scheut sich davor, ein Elternteil ins „Heim“ abzuschieben. Dennoch sollte bedacht werden, dass die Pflege eines Demenzkranken einiges abverlangt und grundlegend in den Alltag des Pflegenden einwirkt. Neben den körperlichen Anforderungen, z.B. beim Heben oder der Körperpflege des Kranken, sind es vor allem die psychischen Faktoren, die sich belastend auswirken und zermürben können. Je nach dem Stadium der Krankheit kann eine Rundum-Betreuung notwendig sein. Auf jeden Fall hat der Pflegende mit massiven Einschränkungen des eigenen Alltags- und Privatlebens zu rechnen. Insbesondere wenn der Demenz-Kranke geistig beeinträchtigt, aber körperlich noch mobil ist, sind Vorkehrungen zu treffen, damit der Kranke sich und andere nicht gefährdet. Gegebenenfalls ist darauf zu achten, dass dieser das Haus nicht allein verlässt oder potentiell gefährliche Elektrogeräte nicht benutzt.
Besonders frustrierend kann es auch sein mit anzusehen, wie der bisher bekannte Mensch sich allmählich zurückentwickelt, bis er schließlich fast so hilflos wie ein kleines Kind ist. Es kann vorkommen, dass die geleistete Hilfe falsch interpretiert wird und sich der Kranke sogar dagegen wehrt, die Pflegenden beleidigt oder vor Anderen schlecht macht.

(c) Gerd-Altmann/Pixelio


Die zweite Option ist die Unterbringung des Demenz-Kranken in einem Heim, wo eine professionelle Pflege geleistet und auch eine medikamentöse Behandlung besser überwacht werden kann. Im Idealfall schafft es erfahrenes Pflegepersonal, sich in die Gedanken- und Gefühlswelt des Kranken einzufühlen und dessen Handlungen und Verhaltensweisen nachzuvollziehen. Hierbei ist die sogenannte Biografiearbeit hilfreich, d.h. Angehörige oder Bekannte erstellen eine Biografie des Kranken mit Informationen zu seinem Lebenslauf, zum früheren Beruf, zur Familie oder auch zu besonderen Vorlieben und Abneigungen. So kann besser auf den Menschen eingegangen werden und macht es möglich, scheinbar sinnlose Aktionen zu verstehen.
Vermeiden kann man Demenz nicht, aber es gibt einige Risikofaktoren mit deren Entschärfung man der Krankheit entgegenwirken kann.
Es ist auf eine allgemein gesunde Lebensweise zu achten. Umstände, die den Gefäßen schaden, wie rauchen, ungesunde Ernährung und Übergewicht sind möglichst zu vermeiden. Bei Vorerkrankungen, wie Diabetes, ist ein verantwortungsvoller Umgang mit der Krankheit zu pflegen, um ein Fortschreiten zu verhindern. Gleiches gilt bei Vorliegen einer Depression, die so früh wie möglich behandelt werden sollte.
Vor einiger Zeit betreute ich hin und wieder eine demenzkranke Frau. Ihre Tochter, eine gute Bekannte von mir, war mit der Pflege fast an ihre Belastungsgrenze geraten. Sie wollte ihre Mutter aber nicht ins Heim geben.
Die alte Dame, Dita, heißt eigentlich Judith, aber so will sie nicht genannt werden, weil Judith ein jüdischer Name ist und sie in ihrer Jugend, während des Krieges, oft große Probleme damit hatte. Wenn ich sie in ihrer Wohnung besuchte, erzählte sie immer wieder, wie sie aus Schlesien hierher an den Bodensee kam. Sie liebt Blumen, die ich ihr bei jedem Besuch aus unserem Garten mitbrachte, worauf sie mir dann schilderte, wie sie damals zwei große Vasen über die Grenze geschmuggelt hatte – Vasen liebt sie nämlich auch, genauso wie Keramikhäschen, die eine ganze Vitrine und jeden freien Platz im Wohnzimmer zieren. Außerdem liebt sie ihren Teddy-Bären und achtete immer darauf, dass Türen und Fenster geschlossen waren, wenn wir das Haus verließen, um einen Spaziergang zu machen.
Das mit den Spaziergängen war immer so eine Sache. Wenn ich kam, musste ich sie erst einmal an- bzw. ausziehen. Oft hatte sie vier verschiedene Paar Strümpfe an oder drei Unterhemden, aber keine Bluse darüber.  Ein zusammenpassendes Paar Schuhe musste regelmäßig gesucht werden, ebenso die Handtasche, samt Inhalt. Ihre Halskettchen waren für sie besonders wichtig und ohne sie ging Dita nie aus dem Haus. Jedes dieser fünf Kettchen hatte seine ganz eigene Bedeutung, die oft mit Erinnerungen an geliebte Menschen verbunden waren. Aus Angst, bestohlen zu werden, versteckte sie die Kettchen immer, vergaß dann aber regelmäßig wo.
Es kostete zuerst schon Überwindung, einer eigentlich fremden Person so nahe kommen zu müssen, aber Dita war zum Glück nie widerspenstig oder aggressiv, nur mit ihrem Gedächtnis und anderen geistigen Fähigkeiten stand es eben nicht mehr zum Besten. Sie erkannte mich zwar immer und erinnerte sich auch Tage nach einem Besuch noch daran, dass die Blumen auf ihrem Wohnzimmertisch von mir waren.
Andererseits konnte es aber sein, dass wir eben das gebrauchte Kaffeegeschirr versorgt hatten und sie uns gleich wieder neuen machen wollte. Nun war Ditas Demenz noch nicht ganz so gravierend, aber soweit ich es beurteilen kann, ist Geduld das A und O im Umgang mit so erkrankten Menschen. Für mich, die ich sie immer nur für einige Stunden in der Woche betreute, war es ja noch eine vergleichbar einfache Aufgabe. Für pflegende Angehörige muss es jedoch eine oft belastende, nervenaufreibende und zermürbende Aufgabe sein, denn die Krankheit ist nicht heilbar sondern schreitet schneller oder langsamer immer weiter fort. Es muss schlimm sein, mitzuerleben, wie etwa ein Elternteil zunehmend seine frühere Persönlichkeit verliert und sich quasi zum Kleinkind im Körper eines Greises zurückentwickelt. Von der Kräfte zehrenden Pflege, manchmal rund um die Uhr, ganz zu schweigen.
Eigene Bedürfnisse haben oft Nachrang und das Privatleben bleibt da mitunter ganz auf der Strecke.
Ditas Tochter drückte es einmal so aus: „Weißt du, manchmal fällt es mir schwer noch genügend Liebe für meine Mutter aufzubringen.“
Für mich gab es aber auch Momente, in denen ich ganz viel zurückbekam. Einmal schenkte sie mir drei  Keramikhäschen als Dank für einen Blumenstrauß. Es war mir unangenehm, weil ich mir nicht sicher war, ob sie genau wusste, was sie tat oder ob sie die Figuren bald darauf vermissen würde.  Beim nächsten Besuch wollte ich diese dann eigentlich wieder zurückbringen, aber Dita weigerte sich kategorisch dagegen. Dass sie sich daran erinnerte, mir ein Geschenk gemacht zu haben zeigte mir, wie ehrlich diese Geste gemeint war.

AnS