BUCHTIPP


dr-eckhard-schiffer full„Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde“

Dies ist ein Buch, das Geschichten aus Patientensicht mit der von Huck Finn und Tom Sawyer verbindet und uns erzählt, wie wichtig frühkindliche Freiheit und eine eigenständige Entwicklung ohne viel PC und Fernseher sind. Nur so können Widerstandskräfte gegen Suchtpotenziale entwickelt werden. Eine zu stark eingeengte, zerstörte Kinderseele wird mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu einem süchtigen Erwachsenen. Wir wünschen Euch viel Spaß beim Lesen! 

Alle verwendeten Textausschnitte entstammen dem Buch von Eckhard Schiffer „Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde“    > Anstiftung gegen Sucht und Selbstzerstörung bei Kindern und Jugendlichen, veröffentlicht im BELTZ-Verlag, Nordhausen  ISBN: 978-3-407-85905-1 Preis: 12,95 Euro   

Dr. Eckhard Schiffer war Chefarzt der Abteilung für Psychosomatische Medizin mit Familientherapeutischem Zentrum an einem Krankenhaus in Niedersachsen. Er ist analytisch orientierter Psychotherapeut und Autor mehrerer Ratgeber, außerdem Facharzt für Nervenheilkunde und Neurologie. Inzwischen ist er im (Un)Ruhestand.

9783407859051Dieses Buch ist in seiner ersten Fassung 1993 erschienen. Die uns vorliegende Fassung ist die aus dem Jahr 2010; in einer neu überarbeiteten Version zur 10. ! Auflage.
„Unser Verhalten ist heutzutage umfassend süchtig. Es gibt viele Motive dafür. Es gibt aber auch viele Motive dagegen. Von denen soll in diesem Buch die Rede sein.“

Huck Finn war zu eigen, was Antonovsky in seinem Konzept mit Kohärenzgefühl beschreibt – das kommt aus dem Lateinischen und meint etwas wie einen inneren Halt, einen sinnvollen Lebenszusammenhang zu spüren, sich auch äußerlich gehalten, getragen zu fühlen und andererseits auch selbst Halt geben zu können. Ein starkes Kohärenzgefühl ermöglicht, dass ich mich in meiner Welt wohl fühle und mit mir in Selbstübereinstimmung bin. 

Daher bedarf ich nicht zwingend der Rauschmittel oder Rauschhandlungen, um mich selber besser aushalten zu können, mich weniger schlecht zu fühlen. Der Rausch ist dann nicht mit einer Abgrenzungserfahrung verbunden, die im nüchternen Zustand nach immer neuen Rauschzuständen schreit. Das Kohärenzgefühl entsteht vom ersten Lebenstag an aus sozialen Beziehungen heraus. „SUCHT hat viele Gesichter und auch viele Begründungen. Mit Sucht ist in diesem Buch ein Handeln gemeint, über das ein innerer Zustand des Unglücklichseins, der Spannung und der Unruhe oder der qualvollen Leere verändert werden soll. Angestrebt wird also Befriedigung.“

Weitermachen trotz Selbstzerstörung.

„Diese Devise gilt sowohl für die Alkohol- und Drogensucht, aber auch für die Fress- und Magersucht, sowie alle anderen Süchte.  Wir machen weiter, obwohl wir wissen, was wir anrichten.“

SUCHT IST DIE KREBSERKRANKUNG DER SEELE

„Warum trinkst du?“ fragt der Kleine Prinz den Säufer. >>Weil ich mich schäme.<< „Und warum schämst du dich?“ >>Weil ich saufe.<< 

Gut 30 Jahre später entwickelten wir im Mitarbeiterkreis unserer Abteilung ein Therapiekonzept für Patienten mit Spielsüchten, „Null-Bock-Syndromen“ und Ess-Brech-Krankheiten. 

>>Inter-Aktionsgruppe<< haben wir diese Unternehmung genannt, als Erlebnistherapie wird dasselbe an anderen Stellen, zum Beispiel in der Jugendpsychiatrie, bezeichnet. Hierzu gehören bei uns Fahrten auf einem selbst gebauten Floß, nächtliche Gruselwanderungen durchs Moor, Laubschlachten und vieles mehr.                                                           

Die Stimmung, aus der heraus alles geschieht, ist schwer zu beschreiben. Es ist ganz sicher kein organisierter Ferienspaß, sondern eher eine Einladung, Phantasie zu wagen. Das Problem unserer Patienten mit den eben genannten Krankheiten ist eine leere, öde innere Welt ohne lebendige Phantasie. Deswegen mussten bislang Suchtmittel herhalten, um diese innere Öde aufzubessern.

Wettbewerbe für Kinder und Jugendliche unter dem Motto „Jugend malt, musiziert, turnt, …“ oder was auch immer, sind Ausdruck der Verbissenheit, mit der immer mehr kindlicher Freiraum gegen programmierte Nachmittage und Wochenenden eingetauscht wird. 

seite16 01

Zumindest gilt dies sehr oft für karriere- und kulturbeflissene Familien. Hier wird eine andauernde innere Friedlosigkeit erzeugt, denn die Leistungen der eigenen Kinder stehen im Vergleich zu der jeweils anderen. 

Vor einem solchen Hintergrund entsteht das falsche Selbst. Und das ist wegen der inneren Friedlosigkeit sucht- und dopinggefährdet.

Kinder brauchen für eine gesunde Entwicklung die freie und tätige Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt wie Klettern, Balancieren, bei der Essenszubereitung helfen, elterliche Werkzeuge und – in geringerem Rahmen – den Computer nutzen. Auch kleine Kinder können unter sorgsamer Anleitung der Eltern schon Aufgaben übernehmen – z.B. beim Tischdecken helfen. Mit steigendem Alter können auch die Aufgaben zunehmen.

Die Lebensfreude eines Kindes schließt die lustvolle Welt- und Selbsterfahrung zunehmender motorischer, emotionaler sowie sozialer und kognitiver Fähigkeiten mit ein. All das vermag mit den damit verbundenen Beziehungserfahrungen schon viel zu einem gesunden Selbst  beitragen, das seine Talente ohne Verbiegung optimal entfaltet und dabei gesund bleibt. 

Was an dem literarischen Huckleberry Finn aufgezeigt werden soll, ist, dass ein solches Erleben der Welt mit allen Sinnen – die Erfahrung der eigenen „Kompetenz“ – eine fehlende Geborgenheit zum Teil ersetzen kann.   

Nicht vollständig, natürlich, aber Zutrauen in die Welt kann auch auf diese Weise erworben werden. Dies meint zugleich, dass ich die Fähigkeiten, die in mir schlummern, ausprobiere, ohne dass ich den Interessen und Weisungen eines anderen folge, d.h. mich selbst finde und verwirkliche, indem meine Motivation im Spielen umgesetzt wird. 

Zusammengefasst kann man sagen, dass der Hauptgedanke in diesem Buch lautet:

 >> DASS EINE LEBENDIGE PHANTASIE UNSERER KINDER FÜR EINE IMMUNISIERUNG GEGEN SPÄTERE SUCHTERKRANKUNGEN WESENTLICH IST.

Ich wünsche uns allen die beglückende Erfahrung, kleine schöne Augenblicke wahrnehmen und uns darüber freuen zu können.

LUE