Schweres Erbe – Wie mir Therapie geholfen hat, meinen Weg zu finden


■ Ich war ein Mädchen, und lernte früh, was die „Vorteile“ gegenüber meinen Brüdern waren. Ich bekam schöne Kleider angezogen, obwohl ich viel lieber
eine Jeans angezogen hätte, wie meine Brüder. Ich bekam meine erste Jeans, als ich 13 oder 14 Jahre alt war. Ich musste auch im Haushalt helfen. Ich sah damals nur das, aber nicht, dass meine Brüder meinem Vater bei den handwerklichen Arbeiten helfen mussten.
Alle zusammen wurden aber zur Gartenarbeit eingeteilt. In unserer Familie wurde Zusammenhalt ganz hoch gehalten. Das gestaltete sich so, dass zu Geburtstagen meiner Oma die ganze Verwandtschaft zusammenkam. Ich erinnere mich an einen Tag, an dem meinkleiner Cousin sein Brot nicht essen wollte, und immer wieder vom Tisch aufstand. Meine Oma schickte mich dann mit ihm in den Park, weil er in Bewegung besser essen würde, und tatsächlich, das Brot war nach einer Runde aufgegessen. Aber, ich war eben nur ein Mädchen, das keine höhere Schulbildung brauchte, aber gute Noten nach Hause bringen musste.

Ich wurde gefordert, aber nicht gefördert. Irgendwann hatten meine Eltern einen Plan für meine Leben. Dazu gehörte aber keine höhere Schulbildung, trotzdem sollte ich gute Noten nach Hause bringen. Das fiel mir nicht schwer. Ich mochte Deutsch und Mathematik. Ich glaube, ich war darin gut, weil es Spaß gemacht hat und saugte alles Neue auf. Lernen fand ich toll, aber das Leben manchmal nicht. Ganz doof fand ich, dass ich nicht aufs Gymnasium gehen konnte, wie meine Cousine, oder wenigstens auf die Realschule mit meinen Freundinnen. Meine Eltern meinten, ich bin ein Mädchen und soll Kochen und Gartenarbeit lernen, denn ich heirate ja sowieso. Sie sagten, ich könne ja auf die Hauswirtschaftsschule gehen. Mein Vater starb sehr früh. Ich dachte, dann kann ich ja nach der Hauptschule mit meinen neuen Freundinnen auf die Handelsschule gehen. Aber meine Mutter meinte, meinesVaters Wille sollte ausgeführt werden. Ich wurde rebellisch, ich bekam Unterstützung von meiner Oma. Es sollte ein Jahr dauern, bis wir meine Mutter überzeugt hatten, aber dann durfte ich weiter lernen und auf die Handelsschule gehen.

Es ging auch viel schief in meinem Leben, es plätscherte so vor sich hin. Ich wurde beruflich oft ins kalte Wasser geschmissen, ich wusste gar nicht, dass Schwimmen so einfach war, ich durfte nur nicht aufhören, mich zu bewegen. Nach einer persönlichen Enttäuschung fing ich an, stillzustehen und drohte unterzugehen. Ich fing eine Therapie an. Ganz blauäugig dachte ich, der sagt mir, mach das und dies und es geht dir wieder gut.
Das Dumme war, dass ich dachte, Laufen geht von allein, dass man dafür aber einen Schritt nach dem anderen gehen muss, war mir da nicht klar und oft nahm ich den fünften oder auch neunten Schritt vor dem ersten. Dass man da ins Stolpern kommt, ist doch ganz logisch. Ich müsse geduldiger werden, sagten die Menschen in meinem direkten Umfeld. Das konnte ich in einer medizinischen Reha beweisen. Als die Maßnahme genehmigt war, dachte ich, dass in den sechs Wochen alles wieder ins Lot kommen würde. Aus den genehmigten sechs Wochen wurden acht Monate. Ich lernte, mich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen und nicht schon beim kleinsten Problem aufzugeben bzw. klein beizugeben. Zu Hause ging dann die ambulante Therapie weiter, die sich sehr schwierig gestaltete. Aufgrund der Magersucht durfte ich ein Mindestgewicht nicht unterschreiten, ansonsten wurde die Therapiestunde für die jeweilige Woche gestrichen. Das hieß, dass ich montags zu meinem Hausarzt zum Wiegen gehen musste. War das Gewicht unter dem Vereinbarten, fiel die Therapiestunde für diese Woche aus. Alte Muster brachen auf: „Wir haben dich nur gern, wenn du das machst, was wir dir sagen.“ Es folgten noch weitere stationäre und ambulante Therapien, aus denen ich immer weiter auf meinem Weg vorankam, aber auch stehen blieb. Eine Therapeutin in Frankfurt brachte mich nicht weiter, sondern es brachen bei ihr alte Wunden auf, ich konnte mich aber nicht trennen, denn ich dachte, dass ich allein nicht weiterkäme. Als es ganz schlimm mit  ihr war und ich immer mehr an meine Kindheit erinnert wurde, erfuhr ich vom Trauma- und Opferzentrum in Frankfurt. Meine Therapeutin dort fing erst mal wieder an, mich aufzubauen und gemeinsam suchten wir einen Weg, den ich gehen könnte beziehungsweise wie der Weg für mich aussehen müsste, den ich gehen wollte. Sie zeigte mir auch, wie man liebevoll mit Kindern umgeht, und auch, wie eine Mutter liebevoll mit ihrem inneren Kind umgeht. Ich erinnere mich noch an einen Termin vor Weihnachten und einer damit verbundenen längeren Pause, da schenkte bzw. übergab sie mir ein Kuscheltier, um das ich mich kümmern sollte. Die Zeit dort und weitere Aufenthalte in einer Traumaklinik in Oberursel zeigten mir, dass ich auch gemocht werde, wenn ich eine schlechte Angewohnheit hatte. Ich wurde darauf hingewiesen, es wurde

mir aber nicht die Aufmerksamkeit entzogen. Als ich dann nach Überlingen ziehen wollte, bestärkte mich die Therapeutin aus dem Trauma- und Opferzentrum sehr in meinen Plänen. Ich siedelte also um nach Überlingen, hier hatte ich das Vianney-ABW (Ambulant betreutes Wohnen), meine Freundin, die das Fass ins Rollen gebracht hatte. Das machte mir das Eingewöhnen leicht und auch, dass ich gleich Arbeit im GpZ fand. Nach einem Konflikt mit einer Mitbewohnerin erwachte bei mir der Wunsch nach psychologischer Unterstützung. In den 10 Jahren, in denen ich jetzt hier wohne, hatte ich zwei ganz tolle Therapeuten, die mich bestärkten, meinen Weg weiterzugehen, auch wenn Steine im Weg lagen. Der erste Therapeut bestärkte mich darin, für die GePetZt bzw. ZOOM zu schreiben, ihm gab ich anfangs auch immer mein Manuskript zu lesen. Durch seine Unterstützung bewältigte ich den Zusammenstoß mit der WG-Mitbewohnerin. Mein jetziger Therapeut, bei dem heute Alltagsbewältigung und Abnabelung von ihm angesagt ist, brachte mich meiner Restfamilie wieder näher. Durch meinen Therapeuten, meine Betreuerin und meine Freundin fühle ich mich hier ganz wohl, und habe ich das Gefühl „angekommen“ zu sein. Als ich zweifelte, ob ich weiter für die ZOOM schreiben sollte, bestärkte mich mein Psychotherapeut weiterzumachen. Aber auch, dass ich mal nein sagen darf, wenn das Thema zu krass ist oder mich nicht anspricht. Ach ja, zur Familie ist zu sagen, dass ich seit einigen Jahren auch regelmäßig meine Cousine treffe, auf die Art, dass ich das eine Jahr zu ihr fahre, was den Vorteil hat, dass ich dann auch mein Patenkind sehen kann. Und das nächste Jahr sie zu mir an den Bodensee kommt. Mein jüngerer Bruder hat mir innerhalb von zwei Jahren zwei ganz wertvolle Geschenke gemacht. Wir stehen uns jetzt wieder sehr nahe. Meinen verstorbenen Eltern habe ich auch verziehen, dass sie mich nur gefordert und nicht gefördert haben. Es war eben zur damaligen Zeit bei Mädchen so üblich. Zumindest bei der Generation meiner Eltern, die waren eben schon etwas älter als ich zur Welt kam.
■ VT