„Man muss die Menschen auf die Lust am nicht-kriminellen-Verhalten konditionieren.“


Anleitung zu einem Leben nach der Forensik

■ „Die Liebe ist das Kind der Freiheit, niemals das der Beherrschung!“ Erich Fromm Unter diesem Aspekt trafen sich Mitglieder und Gäste der Internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft am 11. und 12. November 2017 zur Herbsttagung im ZfP Reichenau. Thema: „Wegsperren und/oder Resozialisieren? Straf- und Maßregelvollzug in der Diskussion“. Die Vorstellung, dass man etwas in der Gesellschaft verändern könnte, wenn man Kriminelle ächtet, sei nach Rainer Funk, Vorstand der Erich-Fromm-Gesellschaft, einfach naiv. Es zeige sich dieselbe Logik wie aus der Traumaforschung bekannt, der Geächtete identifiziere sich mit der Ächtung und müsse diese dramatische Dynamik laufend fortsetzen. Die „liebevollere“ Lösung sei, diese Ächtung zu entkräften, indem man den Menschen ihre Würde wieder zurück gebe. Der wohl jüngste Referent dieser Tagung, Adrian Gallistl, Psychologe an der Universität Magdeburg, reflektierte Fromms frühe Arbeiten zur Strafjustiz und deren historische und aktuelle Bedeutung. Sein Fazit. Das Problem ist ein soziales, kein psychologisches, denn Mitglieder der oberen Klassen können ihre Triebe besser kompensieren, treiben Sport, machen Urlaub, gehen zufriedenstellender Arbeit und Hobbies nach. Notverbrechen aus wirtschaftlichem Mangel und Triebverbrechen, die ebenfalls ökonomischen Hintergrund haben, werden nicht von Reichen begangen. Prof. Dr. Rüdiger Wulf aus Stuttgart, Referatsleiter im Justizministerium Baden-Württemberg und Honorarprofessor der Juristischen Fakultät der Uni Tübingen greift in seinem Referat „Die Realität des Strafvollzugs: Chancen, Grenzen und Gefahren“ die Frage wieder auf: „Wann ist die Menschenwürde verletzt? Dann, wenn der Mensch zum Objekt staatlicher Gewalt wird!“ und er geht dabei über zu Tolstoi: „Um einen Staat zu beurteilen, muss man seine Gefängnisse von innen sehen!“

Im Strafvollzug erfordert die Liebe Nähe und die gebotene Distanz zugleich. Er fordert mehr Berufsethik. Jeder sollte sich drei grundsätzliche Fragen stellen:
1. Ist meine Entscheidung gut im Sinne von gerecht?
2. Gehe ich achtsam um mit KollegInnen und Gefangenen?
3. Wie gehe ich mit Macht um?
Aus der Arbeit in der Psychoanalyse (s. Interview Rainer Funk in ZOOM nah dran GPZ Überlingen) wissen wir, dass die Liebe zum Menschen und zu sich selbst unabdingbar ist, um etwas zu verändern. Prof. Dr. Hoffmann, Medizinischer Direktor der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie im ZfP Reichenau, sieht den Umgang mit psychisch kranken Rechtsbrechern als eine gesellschaftliche Gesamtaufgabe. „Man muss die Menschen auf die Lust am nicht-kriminellen Verhalten konditionieren.“
Prof. Hoffmann kümmert sich als Psychoanalytiker vornehmlich um Menschen im Massregelvollzug. Dieser ergibt sich aus dem Rechtsgrundsatz „nulla poena sine culpa“ – niemand darf für eine Tat bestraft werden, wenn ihn keine Schuld trifft. Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung oder wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung (z.B. durch Alkohol, Drogen) unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen (vgl. § 20 StGB).Gleichzeitig sehen die §§63 und 64 StGB jedoch vor, dass in den Fällen, in denen das Gericht zur Einschätzung kommt, dass die Täter für die Mitmenschen oder die Gesellschaft eine Gefahr darstellen, eine Unterbringung anordnet werden kann. Diese nennt man Maßregelvollzug. Wir erhielten die Möglichkeit, eine entsprechende Station des ZfP Reichenau zu besuchen. Der Patientensprecher, ein aus Osteuropa stammender Mann, ca. 40 Jahre alt, erzählt uns seine Geschichte: Er wollte einer Frau, die von einem Mann

geschlagen wurde, zur Hilfe kommen. Da er unter starkem Alkoholeinfluss stand, hat er viel zu fest zugeschlagen und den Mann schwer verletzt. Er berichtet vom Tagesablauf, bei dem fast alles in der Gruppe passiert, z.B. Morgenrunde oder Gruppentherapie.

Ein Thema kann dabei auch das„Lebenspanorama“ sein, bei dem betrachtet wird, was war, was ist und was werden soll.Sport scheint ein großes Thema zu sein, das Haus ist umzäunt, die Sportanlage für Beachvolleyball oder Basketball im Garten wird genutzt. Dipl. Sozialarbeiter Gabriel Henkes weist in seinem Referat auf den wichtigen Aspekt der Resozialisierung der Klienten durch Arbeit hin. Der gut funktionierende gemeindepsychiatrische Verbund im Landkreis Konstanz und die Struktur des ZfP unterstützen aus seiner Sicht die Bemühungen. Er sieht das ZfP Reichenau ähnlich einem großen Stadtteil, der so gut funktioniert, weil es eben viele Unterschiede gibt. Dr. Wolfgang Zoll, Bürgermeister der Gemeinde Reichenau, sieht das ZfP als 6. Ortsteil seiner Gemeinde. Er hebt die gute Beziehung hervor, auch wirtschaftlich gesehen ist das ZfP ein wichtiger Standort, bietet Arbeitsplätze und finanzielle Unterstützung in vielen Fragen. So wurde der neue Sportplatz zur Hälfte (Kosten 1 Mio €) jeweils von der Gemeinde und vom ZfP getragen. Bei der Einweihung werden Mannschaften aus den Sportvereinen, der Sparkasse und der ZfP Betriebsmannschaft mit psychisch erkrankten Menschen gegeneinander Fußball spielen. Ein Zaun am Gleis entlang des ZfP wurde mit Beteiligung von jeweils 1/3 der Kosten von der Deutschen Bahn, der Gemeinde Reichenau und dem ZfP Reichenau finanziert. Suizide werden so minimiert. Und ganz wichtig hervorzuheben ist die Tatsache, dass die Kinder vom Wohngebiet Lindenbühl zu Fuss über das Gelände des ZfP zur Schule und in den Kindergarten in der Waldsiedlung laufen. Auch hier findet sich ein Bezug zu Fromm: schon das Kind muss eine Vorstellung von Realität und Objektivität erlangen.
■ Daniela Schmid