Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bodensee
Weil´s wirklich schön und verständlich geschrieben wurde und sehr viel aussagt über die Intention der Ärzte, die „Geschlossene“ Station 57 von der Weissenau teilweise nach Friedrichshafen zu verlegen, habe ich Euch den Zeitungsausschnitt der Schwäbischen Zeitung aus 2009 einmal in Ausschnitten kopiert. Ich habe ihn mehrfach gelesen, und habe das kleine, große Wunder wirklich erst fassen können,als ich mit Marcus vor der neuen Klinik stand:
„FRIEDRICHSHAFEN – Die Zeiten, als man psychisch kranke Menschen hinter Anstaltsmauern wegsperrte, neigen sich offenbar dem Ende zu: Jedenfalls verfolgt das ZfP Die Weißenau die Strategie, die zentralen Standorte zu verkleinern und Stationen auszulagern. Gestern war Spatenstich für den Neubau.
„Wenn du nicht brav bist, kommst du in die Weißenau“: In Friedrichshafen aufgewachsen, erinnert sich Professor Paul-Otto Schmidt-Michel, Ärztlicher Direktor am ZfP, noch genau, womit er als kleiner Bub eingeschüchtert wurde. Die Weißenau war irgendwie weit weg für die Leute im Bodenseekreis. Mittlerweile prägen psychisch kranke Menschen auch hier das Straßenbild – nicht zuletzt, weil das Gemeindepsychiatrische Zentrum sich in der Häfler Paulinenstraße angesiedelt hat und es überdies diverse Wohngruppen im Kreis gibt.
Indem seelisch kranke genau wie körperlich kranke Menschen an einem „normalen“ Krankenhaus behandelt werden,„wollen wir die Stigmatisierung aushebeln“, erklärt Schmidt-Michel. Und die Hemmschwelle, psychische Störungen – möglichst früh – beraten oder behandeln zu lassen, heruntersetzen. Abgesehen davon, dass es dem ZfP darum geht, mit den ausgelagerten Psychiatrie-Satelliten „an somatischen Krankenhäusern anzudocken“, um für die Bürger „eine gemeindenahe, optimale ganzheitliche Versorgung anzubieten“, wie Wolfgang Rieger, Geschäftsführer des ZfP Südwürttemberg, erklärt, müsse man auch auf den wachsenden Bedarf reagieren. „Unsere Politik lautet ambulant vor stationär“, stellt Rieger klar.“ (Schwäbische Zeitung, 13 März 2009, Redakteurin Ruth Auchter)
Pünktlich 2 Jahre nach dieser Veröffentlichung wurde unter Leitung des bisherigen Chefarztes der Allgemeinen Psychiatrie Bodenseekreis, Dr. univ. Pavia Ingo Asshauer, die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bodensee (kurz KPP) eröffnet. Aus diesem Anlass habe ich, Daniela S. mit unserem Fotografen und Designer Marcus S. Herrn Dr. Asshauer in Friedrichshafen besucht.
Und nun das, was für mich unfassbar war, ein versetzter Flachdachbau, unbehandeltes Holz, rundum verglast, Bauhaus Architektur, kein Wunder die Architekten sind aus Berlin. Und am Haupteingang eine elektronische Glasschiebetüre, keine Gitter vor den Fenstern, keine Klingel, kein Pförtner, keine elektrische Sprechanlage, die Tür öffnete sich automatisch und wir standen inmitten eines großen, lichtdurchfluteten Eingangsbereiches mit Sitzgelegenheiten und auf den Tischen standen blühende Frühlingsblumen. Außer Marcus´ Meisterwerken könnt Ihr eindrucksvolle Bilder auch auf der Website der Berliner Architekten unter „Feierliche Einweihung“ anschaun: http://www.huberstaudtarchitekten.de/
Daniela S.: Guten Tag Herr Dr. Asshauer, zu erst einmal wollen wir uns bedanken, dass Sie sich kurz nach der Eröffnung des KPP schon die Zeit für uns nehmen.
Wollen Sie uns von der spannenden Zeit von der Planung bis zum ersten Spatenstich und der letztendlichen Fertigstellung, dem Neubezug und der aufregenden Neueröffnung mit vielen Pressekonferenzen und Glückwünschen berichten?
Dr. Asshauer: Die konkreten Planungen für die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie reichen weit mehr als drei Jahre zurück. Ich persönlich beteilige mich seit Juli 2008 am Entwurf. Zur Realisierung des Projektes wurden drei Arbeitsgruppen gebildet. Die erste beschäftigte sich mit den Vertragsabschlüssen zwischen dem Klinikum Friedrichshafen und der Weissenau, eine zweite mit der Abschätzung der Folgen des Auszugs der Allgemeinpsychiatrie Bodenseekreis aus dem Mutterhaus für das ZfP selber. Die dritte Arbeitsgruppe, also unsere, befasste sich mit der Erarbeitung des Behandlungskonzeptes, den logistischen Problemen, den organisatorischen Abläufen, der technischen und mobiliaren Ausstattung, der Öffentlichkeitsarbeit sowie der Beziehungsaufnahme mit den Kooperationspartnern wie etwa dem Klinikum, den Behörden und Heimen sowie niedergelassenen Ärzten. Die Realisierung des Projektes ist also das Produkt einer vielköpfigen Gemeinschaftsarbeit. Insgesamt sind wir sehr stolz auf dieses Ergebnis, der weitestgehend reibungslose Start der Klinik am 14.03. ist der Lohn dieser mehrjährigen Arbeit, die – das muss man hier sagen – von allen pflegerischen und ärztlichen Mitarbeitern der Planungsgruppe unter vollem vollstationärem Betrieb geleistet wurde. Die beiden Allgemeinpsychiatrischen Stationen wurden so konzipiert, dass eine durchgehende Öffnung der beiden Aufnahmestationen möglich ist. Dies ist die eigentliche konzeptionelle Neuerung dieser ausgelagerten, akutpsychiatrischen Abteilung. Die Öffnung der vormals geschlossenen Aufnahmestationen kreiert für Patienten und Therapeuten eine völlig neue Behandlungsatmosphäre. Bis jetzt, vier Wochen nach Eröffnung, kam es zu keinen nennenswerten Schwierigkeiten. Ob dies so bleibt, wird sich zeigen. Wir werden unsere Erfahrungen machen müssen.
Jede der beiden Stationen verfügt über 22 Betten. Es gibt nur Einzel- und Doppelzimmer mit Nasszellen. Die Zeiten der Vierbettzimmer sind vorüber. Eine Station beherbergt ein „Weiches Zimmer“ (Anm. d. Red.: intensiv menschliche Betreuung) und eine „Care-Einheit“ (Anm. d. Red.: Wird auf Seite 21 erklärt). Wir bieten ein differenziertes Programm an Einzel- und Gruppentherapien, neben den üblichen Angeboten wie Ergo-, Arbeits-, Musik- und Bewegungstherapie auch Genusstraining, Bogenschießen, Kochtherapie, Informationsgruppen usw. An Wochenenden sind Ausflüge in Kleingruppen, Marktbesuche und ähnliches geplant. Das Konzept sieht außerdem eine wesentlich intensivere Information, Beratung und Einbindung der Angehörigen vor. Die Verlagerung unserer Abteilung auf den Campus des Klinikums Friedrichshafen ermöglicht es nun auch, psychisch behandlungsbedürftige Patienten im Klinikum zeitnah und effektiv im Konsildienst mit zu behandeln.
Daniela S.: Hat sich der Begriff „Geschlossene“ jetzt relativiert, dadurch dass die Stationen von 8-20 Uhr „offen geführt“ werden?
Dr. Asshauer: Die beiden allgemeinpsychiatrischen Stationen 2091 und 2092 sind definitiv offene Stationen. Nur in Einzelfällen wird es erforderlich sein, eine der beiden Stationen stundenweise zu schließen, um selbstgefährdete oder fremdgefährdende Personen in akuten Krankheitsphasen zu schützen. Wir werden im Verlaufe des Jahres ein Schließprotokoll führen und anschließend auswerten. Psychiatrische Kliniken wie zum Beispiel in Heidenheim werden seit Jahren offen geführt, ohne dass sich die Zahl der sogenannten „Entweichungen“ nennenswert erhöht hätte. Interessant ist aber, dass sich die Zahl der Zwangsmaßnahmen erheblich reduziert hat. Das gesamte Team der neuen Klinik ist fest entschlossen, an dieses Konzept anzuknüpfen und radikal umzudenken. Eine offene Tür setzt neue Akzente in den Bereichen Verantwortung, insbesondere auch juristische Verantwortung und Fürsorgepflicht. Es wird immer einzelne Patienten – ich möchte in Klammern hinzufügen: auch Mitarbeiter – geben, die mit der offenen Tür nicht umgehen können. Die Öffnung wird also nur dann funktionieren, wenn Mitarbeiter und Patienten hinter diesem Konzept geschlossen stehen.
Daniela S.: Wozu dient der Isolierraum?
Dr. Asshauer: Akute schizophrene und manische Episoden führen in manchen Fällen aus unterschiedlichen Gründen zu erhöhter Aggressivität gegen sich und andere. Bei den schizophrenen Psychosen herrscht die aus der Realitätsverkennung geborene Angst vor, bei den manischen Episoden die Antriebssteigerung, das verminderte Fremdwertgefühl und die Störung der Impulskontrolle. Erst wenn ein ganzer Katalog deeskalierender Maßnahmen des therapeutischen Teams ins Leere stoßen und eine Fremd- und Selbstgefährdung unabdingbar erscheint oder bereits eingetreten ist, erfolgt eine Abschirmung des Betroffenen im Isolierraum. Die Südwürttembergischen Zentren für Psychiatrie haben unter der Federführung von Prof. Steinert eine Leitlinie verabschiedet, die das Vorgehen bei Aggression in all seinen unterschiedlichen Aspekten, insbesondere auch im Hinblick auf das Erleben des Betroffenen, Indikation, Dauer und Nachbearbeitung mit den Betroffenen reglementiert. Gerade bei schizophrenen Psychosen ist das Gehirn durch die krankheitsbedingte Reizfilterstörung einer Flut von schwer integrierbaren und verwirrenden Reizen ausgesetzt. Der Isolierraum dient hier vor allen Dingen auch der Reizabschirmung. Auch bei depressiven Patienten und Patienten mit bestimmten Persönlichkeitsstörungen kann die Impulskontrolle kurzzeitig weitgehend oder vollkommen unkorrigierbar aufgehoben sein, so dass auch eine 1:1-Betreuung durch eine pflegerische Person den Patienten vor seinen Suizidabsichten und Selbstverletzungsneigungen nicht bewahren kann. Hier kann der Isolierraum in Einzelfällen vor dramatischen Folgen bewahren.
Daniela S.: Wird der Isolierraum häufig und regelmäßig frequentiert?
Dr. Asshauer: Die Gründe, Art und Ablauf und Nachbearbeitung der Zwangsmaßnahmen werden seit Jahren sehr detailliert dokumentiert und anschließend statistisch ausgewertet und mit anderen psychiatrischen Einrichtungen in Deutschland und Europa verglichen. Die Daten zeigen insgesamt, dass der Isolierraum nicht häufig frequentiert wird. Wir sind zuversichtlich, dass die Öffnung der Stationen das Behandlungsklima auch in seinem Aspekt der Eigen- und Fremdaggression positiv beeinflussen wird und Zwangsmaßnahmen deutlich seltener werden. Erfahrungen offener Psychiatrieabteilungen, zum Beispiel in Heidenheim, deuten in diese Richtung.
Daniela S.: Was ist eine Care-Einheit?
Eine der beiden Stationen verfügt über eine derartige Einheit. Sie besteht aus einem Schlaf- und einem Wohnzimmer und besitzt eine Loggia. Die Care-Einheit bietet Raum für zwei Patienten und einen Pfleger. Patienten mit schweren psychiatrischen Störungen, die zu einer Aufhebung der Absprachefähigkeit führen, können hier intensiv pflegerisch und fachpsychiatrisch betreut werden. Die Care-Einheit wird vor der morgendlichen Öffnung der Stationen gemeinsam mit der Pflegeperson bezogen und nach der abendlichen Schließung der Stationen wieder verlassen. Letztlich ermöglicht die Care-Einheit einerseits eine sehr individualisierte pflegerisch-therapeutische Begleitung, andererseits erlaubt sie die Öffnung beider Stationen. Erfahrungsgemäß sind es zum Leidwesen der übrigen Patienten meist nur ein bis zwei Personen, derenhalben eine Station – wenn auch nur kurzfristig – geschlossen werden muss.
Daniela S.: Wird das EKT, sprich Elektroschock ambulant oder stationär ohne oder mit Narkose durchgeführt?
Dr. Asshauer: EKT bedeutet Elektrokonvulsionstherapie. Dieses Verfahren wurde Mitte der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts durch einen italienischen Psychiater ersonnen und wurde bis in unsere heutige Zeit zu einem nebenwirkungsärmsten, nichtmedikamentösen Verfahren zur Behandlung therapieresistenter Depressionen und lebensbedrohlicher psychotischer Zustände, wie etwa der febrilen Katatonie entwickelt. Momentan führen wir die EKT noch in der Dreiländerklinik in Ravensburg durch. Es gibt aber Überlegungen, auch ein EKT-Gerät in Friedrichshafen aufzustellen. Die EKT erfordert in jedem Fall die Zustimmung des Patienten bzw. eines gesetzlichen Betreuers. Die Behandlung wird in Kurzzeitnarkose durchgeführt. Das Prinzip besteht darin, durch einen kurzen elektrischen Impuls einen künstlichen epileptischen Anfall auszulösen. Dieser ist als solcher jedoch nur in den abgeleiteten Hirnströmen und nicht am Körper des Patienten zu beobachten, da die Muskeln des Patienten durch ein entsprechendes Medikament für wenige Minuten vollkommen erschlafft sind. Der epileptische Anfall sorgt für eine Synchronisation der elektrischen Aktivität im Gehirn. Der Mechanismus ist vielleicht vergleichbar mit der Reset-Taste am Computer. Was genau im Hirn passiert, ist bis heute nicht ausreichend geklärt. Tatsache ist jedoch, dass sich schwerste, medikamentös nicht korrigierbare Depressionen oft im Verlauf von drei bis vier Wochen dramatisch bessern und dem Patienten nach jahrelangem Leiden wieder ermöglicht, am Leben teilzu- nehmen. In der Regel finden zwei Sitzungen pro Woche statt, 10-15 Anwendungen sind meist erforderlich. Die Behandlung erfolgt meist stationär, sogenannte Erhaltungstherapien werden dann anschließend in 3-6-monatigen Abständen ambulant durchgeführt. Das Verfahren hat sich vor allen Dingen durch den Film „Einer flog übers Kuckucksnest“ zu einer unmenschlichen und zu disziplinarischen Zwecken eingesetzten Methode negativ im kollektiven Gedächtnis eingebrannt. Richtig ist hingegen, dass die EKT eine ausschließlich freiwillige, außerordentlich nebenwirkungsarme, sichere und hoch effektive Methode zur Behandlung von Depressionen und katatonen Psychosen ist.
Daniela S.: Was ist konsiliarärztliche Diagnostik?
Dr. Asshauer: Die neue Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bodensee befindet sich nur einen Steinwurf vom Klinikum Friedrichshafen entfernt. Patienten, die wegen Erkrankungen innerer Organe im Klinikum Friedrichshafen aufgenommen werden, leiden oft unter psychischen Begleiterkrankungen wie Depressionen, Demenzen, Delirien oder Psychosen. Internisten, Chirurgen und Onkologen am Klinikum sind nun in der Lage, einen Psychiater der KPP mit der Diagnostik und der Therapie dieser Patienten im Klinikum zu beauftragen. Zuvor wurde diese Aufgabe durch einen Friedrichshafener Psychiater wahrgenommen. Die Häufigkeit der Konsilanforderungen in den letzten vier Wochen bestätigt, wie hoch der Bedarf psychiatrischer Mitbetreuung von Patienten am Klinikum ist.
Daniela S.: Was sind die Ursachen psychischer Erkrankungen?
Dr. Asshauer: Diese Frage ist in der gebotenen Kürze nur sehr schwer zu beantworten, da die Ursachen komplex, vielfältig und in weiten Teilen noch unerforscht sind. Was wir heute wissen ist, dass bei der Entstehung psychischer Erkrankungen sowohl die Gene des Betroffenen als auch manigfaltige Umwelteinflüsse, frühkindliche Erfahrungen und soziale Bedingungen einen wesentlichen Einfluss haben. Wie komplex das ist, kann man am Beispiel der schizophrenen Psychosen aufzeigen. 100 Jahre Schizophrenieforschung haben eine schier unübersichtliche Menge an Daten in den unterschiedlichen genannten Bereichen erzeugt, jedoch ist es bis heute nicht gelungen, ein einheitliches, ursächlich erklärendes Krankheitsmodell dieser Erkrankung zu entwickeln. Es wird wohl noch Jahrzehnte dauern, bis wir den wechselseitigen Einfluss von Genetik und Umweltfaktoren abschließend und zufriedenstellend geklärt haben werden.
Daniela S.: Was ist die durchschnittliche Aufenthalts-Dauer in der Psychiatrie?
Dr. Asshauer: Momentan liegt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der Akutpsychiatrie bei ungefähr 23 Tagen.
Daniela S.: Hängt das damit zusammen, dass die Krankenkassen diesen Durchschnitt aufgrund Erfahrungswerten ermittelt haben?
Dr. Asshauer: Nein, die Krankenkassen haben damit direkt nichts zu tun. Die durchschnittliche Verweildauer wird durch unsere Verwaltung ermittelt. Dieser Durchschnitt bezieht sich auf alle Diagnosen, es ist aber auch möglich, die durchschnittliche Verweildauer für jede psychiatrische Erkrankung, also zum Beispiel für Psychosen und Depressionen, zu ermitteln. Die Fallzahlen haben sich in den letzten 15 Jahren um 80% gesteigert, obwohl die Häufigkeit der Erkrankungen eigentlich nicht zugenommen hat. Es hängt wohl damit zusammen, dass die außerstationären komplementären Versorgungseinrichtungen, also der Sozialpsychiatrische Dienst, die Heime, die Werkstätten für Behinderte und die Psychiatrischen Institutsambulanzen näher am Patienten sind und damit Patienten früher einer Behandlung zuführen können. Je früher sie behandeln, desto rascher können sie entlassen werden.
Daniela S.: Ist die Verweildauer mittlerweile kürzer, weil die Kassen nicht mehr finanzieren?
Dr. Asshauer: Das kann man so nicht sagen, auch wenn die Kassen mittlerweile recht genau prüfen, ob weiterhin eine Indikation für stationäre Therapie besteht oder eine ambulante Fortsetzung der Behandlung eventuell schon möglich ist. Letztlich sollte immer noch der Arzt darüber entscheiden, was dem Patienten zu einem gewissen Zeitpunkt zuträglich ist. In der Regel folgt die Kasse der Einschätzung des Arztes. Bedauerlicherweise erhöht dies neben den Qualitätssicherungsmaßnahmen, den sehr ausführlichen Therapiedokumentationen und den Berichtserstellungen den zeitlichen Aufwand für die Erledigung bürokratischer Aufnahmen, die an anderer Stelle dann fehlen. Die Verweildauer könnte theoretisch noch weiter sinken, wenn die ambulante Versorgung der Patienten noch ausgebaut werden würde. Die Zentren für Psychiatrie Südwürttemberg und die DAK arbeiten zurzeit an einem Projekt, das in diese Richtung zielt unter dem Motto „Krankenhausbehandlung zu Hause“. Im Kreis Herzogtum Lauenburg in Schleswig Holstein hat eine derartige Versorgung mittlerweile zu einer durchschnittlichen Verweildauer von 7 Tagen geführt. Ob sich dieses Modell rechnet, wird sich zeigen.
Daniela S.: Sehen Sie sich durch eine derartige Politik in Ihrem Handlungs-Spielraum als Psychiater eingeschränkt?
Dr. Asshauer: Nur bedingt. Derartige Projekte fördern innovative Gedanken und bieten die Möglichkeit, verkrustete Strukturen aufzuweichen.
Daniela S.: Wenn der Gesundheits-Minister die Arbeit an der Basis/Front, wie Sie und Ihre Kollegen sie tagtäglich doch fast „knochenbrecherisch“ leisten, anerkennen würde und Ihre Forderungen an Innovationen miteinbeziehen, was würden Sie sich wünschen?
Dr. Asshauer: Ökonomie bedeutet, mit den bestehenden zeitlichen, finanziellen und personellen Ressourcen einen bestimmten Bedarf zu decken. Weder der Gesundheitsminister, noch der an der Basis tätige psychiatrische Arzt kann an den einzelnen Stellschrauben beliebig drehen ohne damit das gesamte System ins Ungleichgewicht zu bringen und eine planvolle Bedarfsdeckung zu gefährden. Meine Forderungen bleiben somit reine Wünsche. Die Arbeit mit dem psychisch kranken Menschen ist in erster Linie Beziehungsarbeit. Ich würde daher zunächst an der Stellschraube Personal und Zeit drehen: kleinere Behandlungseinheiten mit maximal 12 Betten, mehr pflegerisches und ärztliches Personal und damit mehr Zeit für den Patienten und die Beziehungsarbeit. Nichts scheint mir bei einem Menschen, dessen seelisches Gefüge auseinander zu fallen droht, wichtiger, als ein aufrichtiges Beziehungsangebot, Wertschätzung und gegenseitiges Vertrauen. Das ist kein Allheilmittel, aber 50 % der Miete und ein „Medikament“, das gegenwärtig aufgrund der ökonomischen Lage in unseren psychiatrischen Kliniken hoffnungslos unterdosiert ist.
Daniela S.: Nun noch eine persönliche Frage der GePetZt Mitarbeiterin Bc:
Was hat Sie dazu bewogen, Medizin zu studieren und sich dann schwerpunktmäßig auf Psychiatrie zu spezialisieren?
Dr. Asshauer: Eigentlich wollte ich Theologe werden, später hat es mir die Entwicklungshilfe angetan. Ich hatte damals den Eindruck, dass mir ein Medizinstudium die größtmöglichen Einsatzoptionen offen hält, besonders im Hinblick auf Auslandsaufenthalte. Mit 12 Jahren wusste ich nicht genau, was ich werden wollte. Was ich nicht werden wollte, stand jedoch eindeutig fest: Psychiater. Meine Mutter hatte sich zum damaligen Zeitpunkt intensiv mit einem gewissen Sigmund Freud beschäftigt, was er über Träume sagte erschien mir schier unverständlich, um nicht zu sagen wirr. So ein Spinner wie Herr Freud wollte ich also gewiss nicht werden. Bereits zu Beginn meines Studiums stand fest, dass mich das Gehirn, also die Hardware, am meisten faszinierte und ich daher Neurologe werden wollte. Nach meiner Facharztausbildung zum Neurologen an der Uni Ulm zog ich allerdings aus familiären Gründen an den Bodensee und entschied mich für eine überbrückende Beschäftigung in der Psychiatrie, bis ich eine geeignete neurologische Klinik gefunden hätte. Es kam anders. Es folgte der Facharzt für Psychiatrie und die Faszination für die besonderen Erlebnisweisen psychisch kranker Menschen. Was soll man machen? Es kommt immer anders als man denkt…
Besten Dank für das Gespräch Herr Dr. Asshauer!
Daniela S. und Marcus S.