Heilung naht – Ein Schiff wird kommen
Das Bild eines ausgehungerten, sudanesisches Mädchens mit lauerndem Geier ging, nachdem es 1993 zuerst in der New York Times veröffentlicht worden war, um die ganze Welt. Der Fotograf, Kevin Carter, gewann daraufhin 1994 den Pulitzer-Preis. Nach Veröffentlichung und Auszeichnung des Fotos wurde Carter vorgeworfen, er habe die Situation für seinen eigenen Ruhm als Fotograf ausgenutzt. Kevin Carter begann auch aus finanzieller Not Selbstmord. Aus seinem Abschiedsbrief: „Der Schmerz des Lebens übersteigt die Freude in einem Maße, dass keine Freude mehr existiert. … Ich werde verfolgt von Erinnerungen an das Morden, an die Leichen, an die Wut, an den Schmerz, … an verhungernde und verwundete Kinder, an schießwütige Irre, an Exekutierer von Killern … Ich bin gegangen, um — wenn ich Glück habe — bei Ken* zu sein.“ (* Ken Oosterbroek, ein befreundeter Photojournalist, der 1994, zwei Tage nach der Bekanntgabe des Pulitzerpreises, in Südafrika erschossen wurde.)
Wir sehen hin, doch was tun wir?
Alle Jahre wieder. Bald ist Weihnachten. Wollen wir unser Gewissen noch beruhigen? Die Spendenaktionen kommen ins Rollen und laufen auf Hochtouren. Millionen werden für Afrika gespendet, was auch wirklich Sinn macht. Es gibt Menschen, die leiden ein ganzes Leben, an Entstellungen beispielsweise. Da ist der psychische Druck erhöht. Die trauen sich nicht vor die Tür. Kennt Ihr das?
Sie sehen nicht weg! Die Ärzte von Mercy Ships Deutschland e.V. einem Verein aus Kaufbeuren. Ihr seht: ganz in unserer Nähe. Aus dem Entree der Internetseite: „Wir bringen Hoffnung und Hilfe. Ihre Spende trägt nicht nur dazu bei, dass wir unsere Operationen kostenlos anbieten können, sondern eröffnet den Menschen, denen wir helfen, auch eine bessere Zukunft.“
An Bord des größten Hospitalschiffs der Welt, der M/S Africa Mercy befinden sich: 6 Operationssäle, 78 Betten mit Intensivstation, Röntgengeräte, Computertomograph, Medizinisches Labor, Ferndiagnoseeinrichtung. Die Ärzte von Mercy Ships verändern Leben. Hilfe, die ankommt.
In einem beeindruckenden Vortrag brachte Dr. Gary Parker, Chefarzt der Africa Mercy, einem sichtlich ergriffenen und gefesselten Publikum seine Erfahrungen näher. Die tiefgreifendste Einsicht aus seiner Zeit an Bord: „Wenn Hoffnung in der Zukunft glaubhaft werden soll, muss sie greifbar in der Gegenwart sein. Sie muss in der Gegenwart gefühlt werden können. Das ist es, was passiert, wenn Menschen auf dem Schiff behandelt werden. Hoffnung wird greifbar. Durch die Hoffnung, die sie in der Gegenwart erlebt haben, können die Menschen an eine Zukunft glauben.“ Spenden und Helfen. Hinsehen ist wichtig.
Und genauso wichtig sind Menschen, die darauf aufmerksam machen, was in der Welt geschieht, wie Menschen leiden und sterben, den Hungertod sogar. Unvorstellbar in unserer heutigen Gesellschaft, aber da Afrika weit weg ist, interessiert dies kaum, hinsehen und ignorieren, abgestumpft reagieren.
Lasst mich einfach zitieren aus einem von vielen Interviews, die Jean Ziegler, geb. 1934 in den letzten Wochen gegeben hat. Der Ex-Chauffeur von Che Guevara, man nennt ihn auch Den Weißen Neger, ist Soziologe. Als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung war er acht Jahre für den Welthunger zuständig. Er hat mehr als 20 Bücher geschrieben und sein neuestes „Wir lassen sie verhungern“ stellt er der Welt gerade vor. Seine progressive und provokatorische Art den Weltkonzernen und Diktatoren gegenüber hat ihm einen Schuldenberg von mehr als 6 Mio € eingespielt. Er kämpft weiter. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung erzählt er wie er 1964 einige Tage lang in Genf der Fahrer von Che Guevara war. Als er am Ende schüchtern fragte, ob er nicht mitkommen könne nach Kuba, soll Che von seinem Zimmer im Hotel Intercontinental auf die Stadt hinausgeblickt und gesagt haben: „Hier bist du geboren, da ist das Gehirn des Monsters. Hier musst du kämpfen.“
Die Hungerkrankheit Noma wird von der WHO ignoriert, weil die sich nur mit zwei Arten von Krankheiten beschäftigen soll: denen, die ansteckend sind und denen, bei denen ein Mitgliedsland um Hilfe bittet. Da Noma weder ansteckend ist, noch je ein Mitgliedsland ihretwegen Hilfe erbat, existiert die Krankheit auf der Liste der WHO gar nicht. Ziegler fuhr nach Bern, um das Bundesgesundheitsamt auf das Problem hinzuweisen. „Der hohe Beamte, der uns empfing, weigerte sich, in der Weltgesundheitsversammlung eine entsprechende Resolution einzubringen, was er wie folgt begründete: ,Auf der Kontrollliste sind schon zu viele Krankheiten.‘“ Das sind die stärksten Momente seines neuen hevorragend recherchierten Buches. Wenn er ganz ruhig den Irrsinn ausstellt. „Ist es zynisch, sich vorzustellen, all die Kinder hier auf dem Papier zu einem monströsen Leichenberg aufzutürmen? Es vermittelt ja nicht, wie das ist, an Noma zu sterben: „Erst schwillt das Gesicht des Kindes an, dann zerfrisst die Nekrose alle weichen Gewebe. Lippen und Wangen verschwinden, klaffende Löcher tun sich auf. Die Augen hängen nach unten, da der Knochen der Augenhöhle zerstört wird. Der Kiefer wird unbeweglich. Die Narbenbildung entstellt das Gesicht. Da der Kiefer blockiert wird, kann das Kind den Mund nicht mehr öffnen. Daraufhin bricht die Mutter die Zähne an der einen Seite heraus, um dem Kind eine Hirsesuppe einflößen zu können.“ So beschreibt Ziegler die Folgen dieser Krankheit, an der vor allem unterernährte Kinder zugrunde gehen (C. Bertelsmann, 320 S., 19,99 Euro).
No Mercy! Wer an Hunger stirbt, wird wenigstens nicht chronisch psychisch krank? Wenn man der Pharmaindustrie klar machen könnte, dass all die Kinder, die man vor dem Hungertod bewahren könnte doch dann später Klienten für ihre Medizin würden, das wäre ein Echter Big Deal! Dann würden die Welt-Mais-Anbau-Konzerne über 10 Mio Tonnen Mais jährlich nach Afrika schicken und nicht verbrennen!!! Don´t be cynical.
Der Fotograf Kevin Carter hat sich aus Verzweiflung selbst getötet. Er wollte nicht mehr hinsehen, konnte die flash backs nicht verarbeiten. Er hat ein Kind mit einem Geier festgehalten auf Polaroid, tatsächlich waren es wohl viele Kinder und viele Geier. Würde er noch leben, wenn er jemanden zum Reden gehabt hätte? Einen Arzt, der ihm die Hand reicht und Hoffnung macht? Wieviele unserer Kollegen töten sich selbst aus Verzweiflung? Sie trauen sich nicht mehr hinaus auf die Straße. Pillen einwerfen war früher in, um zu verdrängen und zu ignorieren. Das Neue Bewußtsein setzt auf körperliche und geistige Vernunft, Sensibilität und Achtsamkeit, miteinander etwas unternehmen, füreinander dasein, wir brauchen keinen „68er Drogenrausch“. Und zum Abschluß noch die Beste Medizin überhaupt. Gute Musik und Schiff-Fahren auf unserem Bodensee. Zwischen diesen beiden Schiffen liegen Welten.
Doch Heilung naht.
Die Hausband des nostalgischen Bodensee Dampfschiffes Hohentwiel „Dixie´s Treibhaus Ventil“ stellt ihre neue Cd vor: „Jazz akut forte. Wirkstoff: Jazz-Extrakt aus Südstaaten Hormonien. Zur täglichen auralen Einnahme. Wirkt 16-fach. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage oder fragen Sie unsere Fans und Fan-atiker.“
Willkommen an Bord. Mit Musik übers Wasser gleiten.
Wenn wir schon immer das Beste für uns fordern, dann bitte nicht nur palliative (lindernde) Therapien, wir wünschen Heilung und Akzeptanz.
Frohe Weihnachten und Einen Guten Rutsch ins Neue Jahr! Mit dem Wahlspruch der Apachenkrieger:
“Großer Geist, bewahre mich davor, über einen Menschen zu urteilen, ehe ich nicht eine Meile in seinen Mokassins gegangen bin.”
Daniela S.
Bilder mit Genehmiung der Pressestellen
mercyships.de, hohentwiel.de,
Dixie´s Treibhaus Ventil