Erfahrungsbericht
Es war nur ein Alptraum
Bei mir ist es 14 Jahre her, als die Krankheitsphase dieses Lebens ihren Lauf nahm. Vorher hatte ich 3 Jahre lang erfolglos versucht mir durch meine Drogensucht einen schönen Tod zu bereiten. Daher wurde ich wohl auch paranoid.
Damals in der Jugendpsychiatrie wurden dann zuerst erfolglos zwei Medikamente probiert, das Dritte (Zyprexa) war dann wirklich gut. Traurigerweise erkannte ich erst später, dass jenes Medikament das einzige Gegenmittel meines Symptomcocktails ist. Wir probierten im gesamten Verlauf ca. 12 weitere. Das hieß, dass ich am Anfang meines ersten
Psychiatrieaufenthaltes zuerst noch einige Wochen immer kränker wurde und keine Drogen mehr zur Verfügung hatte, um dies zu kompensieren. Durch meine Unwissenheit und auf Grund des verworrenen Denkvermögens durchstand ich diese qualvollen Symptome jedoch erstaunlich würdevoll.
Zyprexa betäubte mich jedoch nicht nur, sondern wirkte vor allem gesundend. Dies erleichterte das Aushalten der widerlichen Nebenwirkung enorm. Mit 19 Jahren versuchten wir (Familie, Arzt und ich) daher das Medikament auch langsam wieder zu reduzieren. Meine Mutter hat sich sehr engagiert und mir vieles mehr als erleichtert, doch ihre Sehnsucht ich könnte ohne Medikamente zurecht kommen, wirkte in diesem Fall sehr schädlich. Sogar dem behandelnden Kinder- und Jugendpsychologen erschien es recht plausibel und ich selbst konnte leider auch nicht das Ausmaß meiner Problematik erkennen. Zum Großteil spielte ich damals meine Not herunter, vor allem weil es uns half und ich keine Ahnung mehr hatte, was echte Fröhlichkeit war. Meine Wohnung war zusätzlich nur 23 m2 „groß“ und ich war bettelarm. Jetzt ist mir klar, dass ich allein mit so wenig Geld und so einer kleinen Wohnung sofort wieder erkranken würde. Trotzdem nehme ich heute diese Empfindsamkeit als durchaus bereichernd wahr, aber eben nur, weil ich mir ihrer heute bewusst bin.
Also wurde ich wieder akut paranoid und dieser Zustand hielt sich ein paar Monate. Da mich Zyprexa „unrealistisch high“ machte, lehnte ich eine weitere Behandlung mit diesem Mittel ab. Darauf folgte daher ein sechs Jahre andauernder PRE-psychotischer Zustand. Das bedeutete für mich, dass ich in diesen JAHREN dauernd an der Grenze zur Psychose war. Eine Angst, die mich damals verfolgte und pushte, war, dass ich dauerhaft in einer Einrichtung landen könnte. Der größte Teil meiner Qualen bestand jedoch aus den unablässigen Gedanken. Dabei war auch noch jeder Gedanke irgendwo intensiv sowie kaum greifbar, weil der nächste schon da war. Geäußert hat sich meine Not in dieser Zeit nur noch in mehr oder weniger heimlichen Nervenzusammenbrüchen. Doch ich schaffte es bei keinem dieser Zusammenbrüche mein Bewusstsein zu verlieren. Damals habe ich mich einfach nur noch zusammengerissen, schlimmer konnte es ja nicht mehr sein.
Viele Neuroleptika können extrem appetit anregend wirken. Auch ich habe diese Nebenwirkung meist gespürt. Zusätzlich wurde mein Stoffwechsel durch die Benommenheit weiter heruntergefahren. Teamsport kam auch nur in Frage, weil ich die Tablette danach nehmen konnte. Der Körper gewöhnte sich jedoch etwas an die chemischen Mixturen, wodurch die meisten Nebenwirkungen erträglicher wurden. Doch ich musste mein Essverhalten trotzdem weiterhin akribisch kontrollieren. Dieser Diätzustand wurde sogar irgendwann zur Gewohnheit. Das Tolle für mich ist, das ich körperlich bis heute durchaus attraktiv geblieben bin. Obwohl man es mir schon oft ansah, dass es mir schlecht ging. Trotzdem nehme ich natürlich Essen immer noch extrem gefühlskalt in mich auf. „Mein Körper braucht das halt, also bekommt der Körper gute, eher billige Sachen, die er halt braucht“. Es ist zwar besser geworden, aber weit von dem entfernt wie es sein kann.
Nachdem ich bei einem Psychiatrieaufenthalt doch noch einmal einer Behandlung mit Zyprexa zustimmte, verlangsamten sich endlich meine Gedanken und ich konnte wieder „Ordnung“ schaffen. Es folgten zwei Jahre Reha und anschließend eine Ausbildung (80 %) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Heute arbeite ich in einer Arztpraxis als Bürokauffrau.
In den vergangenen fünf Jahren (heute bin ich 30 Jahre alt) hatte ich endlich ausschließlich lebenswerte Tage. Die Gegenwart betrachte ich nun eher auf eine komplexe Art und Weise. Trotzdem empfinde ich das kaum als schwierig oder beschwerend. Vielleicht, weil das Einfache oder Offensichtliche meist komplexer ist und eben die vermeidlich komplizierten Sachen oft einfacher sind als sie wirken.
Mittlerweile habe ich auch eine deutlich bessere Rettung als Drogen für meine Seele gefunden. Die Musik. Meine Theorie ist, dass Sänger/innen allein durch das Singen der Worte ihre Körpersprache extremer mitnutzen. Daher entsteht dann ein verstärkter, für mich sehr realer Gefühlsaustausch. Da ich derzeit einen großen Bedarf an menschlichen Begegnungen habe und diese mich immer noch oft anstrengen, brauche ich heute nur noch Musik zu hören und bin wieder aufgetankt. Dieses starke Kontaktbedürfnis kommt von meinen damaligen Schwierigkeiten mich authentisch zu benehmen. Da die ständigen Reize und Gedanken es mir so erschwerten oder unmöglich machten.
Die Medikamente habe ich komplett allein, über einen Zeitraum von 2 bis 3 Jahren abgesetzt (Anmerkung der Redaktion: „Medikamente sollten immer in Absprache mit dem Arzt verändert oder abgesetzt werden!“). Komischerweise brauche ich derzeit noch 0,6 mg. Früher brauchte ich so 10 – 15 mg. Nach 3 Tagen sind meine Nerven sonst schon etwas gereizt. Leider konnte mich meine Ärztin damals nur durch Kontrolle des Blutes unterstützen. Sie kämpft meiner Meinung nach mit mehr Ängsten und Vorurteilen als ich.
In diesen Jahren wurde ich oft mit den persönlichen Projektionen einiger Mitarbeiter konfrontiert. Meist betitelten sie diese spöttisch als persönliche Erfahrung und vor allem als gut gemeint. Trotzdem schaffe ich es mittlerweile ausgezeichnet mir diese unprofessionellen Hilfskräfte heute auf Distanz zu halten. Solche Beratungen, freundliche Hilfen oder sogar Freunde sind mir einfach weiter eine Last. Selbst bei meinem wunderbaren Psychologen finde ich es sehr wichtig, dass er Geld bekommt von mir (durch meine Krankenkasse). Er ist nämlich keine „Hilfe“ für mich, er ist eine sehr persönliche Begleitung. Das als selbstverständlich zu betrachten oder kostenlos in Anspruch zu nehmen, empfände ich als sehr unpassend. Diese Hilfen sind also nichts Persönliches in diesem Sinne für mich.
Derzeit genieße ich es oft auf dem Rückweg meiner Arbeit im GpZ etwas zu trinken. Auch an die zwei Reha-Einrichtungen in Karlsruhe und Wuppertal, von wo aus ich den Haupt- sowie Mittleren Bildungsabschluss erworben habe, denke ich gerne. Manch andere Maßnahmen sind mir kaum in Erinnerung geblieben oder kommen mir auch im Nachhinein durchaus hinderlich vor.
Nun möchte ich von einem Tag dieses Jahres kurz berichten. Wir waren eigentlich auf dem Weg nach Aulendorf in die Therme. „Er“ ist ein toller bester Freund und da ich wirklich Lust bekam über das große Klinikgelände der Psychiatrien (ZfP Weissenau) zu spazieren, hielten wir und taten dies. Dort verbrachte ich mit vielen Unterbrechungen etwa zwei Jahre. An diesem Tag hatte ich hohe Schuhe an, war fröhlich und hatte einen Mann an meiner Seite, welcher absolut nicht von schlechten Eltern ist. Vielleicht können Sie es spüren, denn diese Stunde war mein Zieleinlauf, nur dass der Wettkampf etwas länger ging.
Für mich wäre es derzeit durchaus vorstellbar ein Buch zu verfassen. Gefüllt mit all dem was ich jetzt wahrnehme, könnte es auch spannend werden. Trotzdem glaube ich fest, dass es einfach nichts bringt. Doch so offen wie es geht damit umzugehen, dass empfinde ich als durchaus befriedigend, sowie sinnvoll. Außerdem habe einfach nur noch riesengroße Lust so gut es geht zu sein, jeden Tag und in jedem Augenblick. Sprich, nichts Besonderes.
BL
Bildquellen: Stephanie Hofschlaeger_pixelio.de, Grace Winter_pixelio.de, Markus Wegner_pixelio.de