Beziehungsfähigkeit – Bindungsstörung – Hilfen für Betroffene
Aufgrund von langjährigen Studien weiß man heute, dass Menschen mit einer sicheren Bindung gute Beziehungen aufbauen können, die darüber hinaus auch tragfähig sind. Sie fühlen sich in der Regel gesünder und glücklicher. Sie haben Vertrauen in sich und ihre Umwelt, und lassen sich durch die Stürme des Lebens nicht so leicht aus der Bahn werfen.
Nun stellt sich die Frage, was Bindung ausmacht, wie sie entsteht und welche Kennzeichen eine gesunde Bindung hat. Da es die Natur so eingerichtet hat, dass Frauen die Kinder zur Welt bringen, entsteht die Urbindung immer zwischen Mutter und Kind. Man könnte sagen, die Natur hat quasi von vornherein schon mal für eine biologische Bindung gesorgt. Wie sich das später entwickelt bleibt dann offen.
Heute weiß man, dass der Embryo im Mutterbauch an den Gefühlen der werdenden Mutter teilnimmt. Es spürt die Freude, aber auch die Sorgen, Ängste und depressive Verstimmungen. Vor allem spürt es, ob es von der Mutter angenommen wird.
Bei der Geburt setzt sich dieser Prozess fort. Der erste liebevolle Blick der Mutter, ihre Berührung ist von prägender Wichtigkeit. Im Idealfall entsteht daraus ein feinfühliger Umgang mit dem Säugling. Die Mutter versteht die Signale des Kindes richtig, tröstet es bei Angst, füttert es bei Hunger und wickelt es, wenn notwendig. Ein Baby genießt die körperliche Nähe zu seiner Mutter, es fühlt sich geborgen und sicher.
Bevor nun die Väter protestieren sei gesagt, dass selbstverständlich auch der Vater oder eine andere konstante Bezugsperson eine Halt gebende Bindung zu dem Kind aufbauen können. Dies geschieht vor allem dann, wenn die Mutter mit dieser Aufgabe überfordert ist. Später können auch Lehrer oder Erzieher als potenzielle Bindungspersonen hinzukommen. Selbst wenn ein Kind im Heim oder in einer Pflegefamilie aufwächst ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass es positive Bindungserfahrungen machen kann. Das Baby kann seine Bezugspersonen unterscheiden am Geruch, an der Sprache und auch am Aussehen. Es entwickelt sich eine Hierarchie, wer sozusagen an 1. Stelle steht und somit später bei Gefahr auch als erstes aufgesucht wird.
Besonders im ersten Lebensjahr wird das Fundament für eine spätere Beziehungsfähigkeit gelegt. Die Bezugsperson ist für das Kind sozusagen ein sicherer Hafen, in den es zurückkehrt, sobald Gefahr droht. Es beruhigt sich, sein Stress wird abgebaut – es kann sich entspannen. Je sicherer sich das Kind fühlt, desto mutiger geht es auf Entdeckungsreise. Der Aktionsradius vergrößert sich dabei mit zunehmendem Alter.
Die erste wirkliche Trennung entsteht, wenn das Kind in den Kindergarten kommt. Ein sicher gebundenes Kind ist empathiefähig – eine wichtige Voraussetzung, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Vor allem ist es beziehungsfähig in späteren Partnerschaften oder wenn es selbst Kinder bekommt.
Nun ist es wichtig den Blick darauf zu konzentrieren, was Bindung verhindert und wie sich das auf das Verhalten des Kindes auswirkt.
Schon seit einiger Zeit ist es kein Tabu mehr, wenn Mütter sich eingestehen, dass sie mit der Schwangerschaft überfordert sind und/oder nach der Geburt keine Beziehung zu ihrem Kind aufbauen können. Auch dann nicht, wenn es sich um ein Wunschkind handelt.
Hierfür gibt es verschiedene Ursachen. Es kann sein, dass die Mutter selbst keine Erfahrungen von Liebe, Angenommen sein und Geborgen sein machen konnte. Sie kann sich dann in ihr eigenes Kind nicht einfühlen. Sie fühlt sich gestresst, wenn das Kind emotionale Nähe einfordert. Sie reagiert dann mit Zurückweisung, Vernachlässigung, Beschimpfen oder im schlimmsten Fall mit körperlicher Gewalt. Für das Kind bedeutet das Verhalten der Mutter eine existentielle Bedrohung. Es empfindet sehr große Angst. Da dieses lebensbedrohliche Gefühl nicht auszuhalten ist, wird es abgespaltet. Das Kind möchte seine Mutter im positiven Sinne seelisch erreichen und schafft es nicht. Dieses Gefühl von Ohnmacht verursacht eine tiefe Depression – das Kind erlebt ein Bindungstrauma.
Das Kind lernt früh, dass sein Weinen nichts nutzt. Es fühlt sich ausgeliefert. Sein innerer Stress, der sich in einem erhöhten Herzschlag und einer Erhöhung von Stresshormonen zeigt, kann nicht abgebaut werden. Bei Angst wendet es sich nicht an seine Bezugsperson, oder es klammert extrem. Es kann auch sein, dass es aggressiv auf seine Bezugsperson reagiert. Das Kind entwickelt Hass und Wut, gleichzeitig hat es immer Sehnsucht nach ihrer Liebe. Wenn es seine Wut nicht zum Ausdruck bringen kann, kann es in späteren Jahren dazu neigen sich selbst zu verletzen. Manche Menschen greifen später zu Alkohol oder Drogen oder flüchten in andere Süchte (Spiel-, Kauf-, Sexsucht), um das Gefühl der inneren Leere zu betäuben.
All diese Erfahrungen verhindern den Aufbau einer gesunden seelischen Struktur. Es fehlt an Liebe als heilsame emotionale Kraft. Beziehungen zu anderen Menschen sind von Anfang an durch Unsicherheit geprägt. Ständig ist die Angst vor dem Verlassen werden präsent. Der Betroffene kann kein Vertrauen zu anderen Menschen aufbauen. Beim Versuch in Kontakt mit anderen Menschen zu kommen, werden genau die Gefühle wach, die es im Kontakt mit seinen Eltern erlebt hat. Um diese schmerzlichen Gefühle zu vermeiden, gehen viele Betroffene überhaupt keine seelische Beziehung mehr ein.
Was gibt es für Möglichkeiten präventiv einzugreifen, das heißt, wie können werdende Eltern unterstützt werden. Es gibt beispielsweise das Trainingsprogramm SAFE von dem Psychologen Dr. Brisch (www.safe-programm.de). Eltern werden dabei begleitet, schon während der Schwangerschaft eine Bindung zu ihrem Kind aufzubauen. Die Gesellschaft für seelische Gesundheit in der frühen Kindheit (GAIMH) setzt sich ein für Früherkennung von Fehlentwicklungen bei Babys (www.gaimh.org.de).
Auch nach der Geburt gibt es mittlerweile Hilfe, damit die Eltern lernen eine gesunde Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen. Es ist enorm wichtig hilfebedürftige Eltern zu begleiten, da sie in der Regel selbst keine sicheren Bindungen erleben durften.
Die betroffenen Kinder brauchen therapeutische Unterstützung. Auch wenn das Bindungsverhalten zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr gebildet wird, kann es später noch positiv beeinflusst werden. Es ist wichtig Einzel-/Gruppentherapie zu machen. In manchen Fällen ist eine non-verbale Therapie hilfreich, d.h. Musik, Kunst, Bewegung und/oder Spiel können eine Brücke bauen zwischen dem Therapeuten und dem Klienten. In manchen Fällen ist evtl. eine tiergestützte Therapie angebracht, damit sich das Kind beziehungseise der Erwachsene schrittweise emotional öffnen kann
Abschließend kann festgestellt werden, dass unabhängig aus welchen Verhältnissen jemand stammt, er trotzdem die Chance hat, sich zu einem zuversichtlichen, leistungsfähigen und fürsorglichen Menschen zu entwickeln. Vorausgesetzt es besteht zu mindestens einer Bezugsperson eine feste Beziehung, ein positives Selbstkonzept oder ein festes soziales Netz außerhalb der Familie.
Bc
Literaturhinweise
Prof. Ruppert, Franz; Trauma, Bindung und Familienstellen; Klett-Cotta-Verlag
http://www.ev-jugendhilfe-menden.de/wp-content/uploads/2009/07/Brisch-Vortrag-Iserlohn-12-09-2007.pdf
http://www.institut-johnson.de/pdf/bindungsstoerungen.pdf
http://www.institut-johnson.de/pdf/bonding_ge.pdf
http://www.moses-online.de/artikel/fruehkindliche-traumata
Bilder sind von der Künstlerin AB.
Bindungstrauma – ein persönlicher Erfahrungsbericht
Das Thema „Bindung“ beschäftigt mich, seit dem ich darüber einen Artikel in der Zeitschrift „Psychologie heute“ gelesen habe. Zum ersten Mal bekam ich eine Ahnung davon, dass es wohl doch nicht nur an mir allein liegen konnte, dass ich mich mit Kontakten schwer tat.
Ich fühlte mich eigentlich nie irgendwo zugehörig. Ich habe nie kennengelernt, wie es ist in einer Clique zu sein. Ich war eben ein Einzelgänger und dachte mir, das ist halt so. Ich hatte auch nie eine richtig gute Freundin, der man alles anvertraut.
Mein Leben war immer dadurch bestimmt, dass ich alles alleine entschied. Ich habe weder meine Eltern noch andere Menschen um Rat gefragt.
Mir ist immer noch in lebhafter Erinnerung, wie ich als zehnjähriges Mädchen in der 4. Klasse darüber nachdachte, ob ich in die Realschule oder ins Gymnasium wechseln sollte. Ich entschied mich für die Realschule, weil mein Notendurchschnitt ausreichte und ich weiterhin am Wohnort bleiben konnte. Fürs Gymnasium hätte ich eine Aufnahmeprüfung machen und täglich mit dem Schulbus in die nächste Stadt fahren müssen. Schon damals spürte ich, dass das eine Überforderung gewesen wäre. Außerdem war ich der Ansicht, dass ich das Abitur nicht schaffen würde. Ich wäre bei schulischen Problemen nie auf die Idee gekommen, dass es ja Nachhilfe gibt. Meine Eltern haben sich nie dafür interessiert, was ich in der Schule mache. Sie waren auch nie auf einem Elternabend. Mathe, Physik und Chemie fielen mir ziemlich schwer. Ich dachte immer, das kann man oder man kann es nicht.
Was mich auch heute immer noch sehr betroffen macht, ist die Tatsache, dass ich als 7-jähriges Kind fast ertrunken wäre. Ich war mit meinem Vater in einem Thermalbad und hatte einen Schwimmreifen um. Plötzlich ging langsam die Luft raus – ich konnte aber nicht schwimmen. In meinem Kopf war mir klar, dass ich ertrinken würde, aber ich getraute mich nicht um Hilfe zu rufen. Erst so kurz vor knapp machte ich wohl doch noch einen „Mucks“ und ein Ehepaar fischte mich raus. Ein Jahr später habe ich dann Schwimmen gelernt. Es gäbe noch sehr viele Beispiele von Situationen, in denen ich dringend Unterstützung gebraucht hätte. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, um Hilfe zu bitten. Ich hatte auch immer panische Angst vor Hunden, doch meine Devise ist bis heute, bloß keine Angst zeigen, denn wenn der Hund das merkt, beißt er mich erst recht.
Was bedeutet das eigentlich für mein Leben?
Offensichtlich fehlte mir das Vertrauen, dass mir meine Eltern helfen würden. Ich habe immer gedacht, dass ich in einer „normalen“ Familie aufgewachsen bin. Man wertete eher die Nachbarsfamilie ab, weil der Vater dort immer so laut schrie, dass es bis in unsere Küche zu hören war, obwohl wir 100m entfernt wohnten. Je älter ich werde, desto mehr sehe ich manche Dinge in einem anderen Licht. Es erschüttert mich teilweise zutiefst erkennen zu müssen, dass in meiner Familie wohl doch nicht alles in Ordnung war. Ich hätte doch sonst von meinen Sorgen erzählt, von Erlebnissen, die mir sehr viel Angst bereiteten. Ich habe beispielsweise meinen Eltern nie erzählt, dass ich von zwei betrunkenen Männern in der Münchner U-Bahn mit dem Messer bedroht wurde, oder dass ich mit 21 Jahren zum ersten Mal Angstzustände hatte.
Mit 35 Jahren war ich zum 1. Mal völlig am Ende. Ich entschied mich für einen Aufenthalt in einer Fachklinik. Bis 2003 stand ich noch im Berufsleben. Dann bekam ich eine Panikattacke bei der Arbeit.
Es begann ein sehr harter Weg, der mich Stück für Stück meiner familiären Realität näher brachte.
Meine Mutter war nicht glücklich über meine Geburt, sie konnte mir keine Liebe geben, sie konnte auf meine Bedürfnisse nicht reagieren, sie mochte es nicht, wenn ich weinte. Was mich allerdings besonders traurig gemacht hat, ist die Erkenntnis, dass sie von sich immer ablenkte und den „Schwarzen Peter“ meinem Vater zuschob. Sie erzählte mir immer, dass mein Vater richtig sauer war nach meiner Geburt, weil ich ja wieder nur ein Mädchen war – und es nichts wurde mit dem Stammhalter, der die Schreinerei hätte weiterführen können.
Mir fehlte es an Zuneigung und Schutz. Leider konnte ich weder meinen Vater noch meine Mutter als sicheren Hafen erleben. Ich konnte nie wirklich ganz loslassen, weil bei mir immer ein erhöhter Stresspegel vorhanden war. Irgendwann bekam ich eine Ahnung, dass ich sowohl vor meiner Mutter als auch vor meinem Vater immer Angst hatte. Solche Erkenntnisse tauchen immer nur für Augenblicke auf. Es ist als wenn sich ein Schleier hebt, für einen Moment hat man Zugang zu dem dazugehörigen Gefühl und im nächsten Moment ist es wieder verschwunden. Solche Momente sind zwar sehr schmerzhaft und schockierend, trotzdem sind sie wie ein „Geschenk“, weil sie einem ein Stück von sich selbst offenbaren.
Meine Belastbarkeit ist mit dem Älterwerden viel geringer geworden, auch wenn ich nach außen oft noch so tue, als sei alles in Ordnung.
Es fällt mir sehr schwer bei Problemen emotionale Unterstützung zu holen. Vor allem mache ich auch oft die Erfahrung, dass mich der andere gar nicht ernst nimmt. Mein Leben war noch nie wirklich leicht, aber zumindest kann ich mich jetzt selbst ein bisschen besser verstehen. Ich habe viele Jahre Therapie gemacht, z.T. hat mir das weiter geholfen. Das Schwierigste für mich ist Vertrauen zu fassen, denn ich habe leider oft die Erfahrung gemacht, dass gerade Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter oder Geistliche, die von Berufswegen der Schweigepflicht unterliegen leichtfertig und unsensibel mit dem, was ich ihnen anvertraut habe, umgegangen sind. Ich habe in einer Klinik sogar die Erfahrung gemacht, dass ich als arbeitsfähig entlassen wurde, obwohl meine Angst- und Panikattacken sich nicht gebessert hatten. Und die Oberärztin warf mir vor, ich würde ja immer in der Vergangenheit wühlen. Das hat mich sehr betroffen gemacht, denn offensichtlich hat sie keine Ahnung, wie belastend es ist, wenn man fast keine Erinnerung an sein Leben hat. Jeder blinde Fleck in der eigenen Biographie verunsichert einen massiv, weil einem sozusagen ein Stück seines Selbst feht.
Im Laufe der Zeit ist mir klar geworden, dass sich das „eigentliche“ Leben nicht in der Therapiestunde abspielt. Mindestens genauso wichtig sind soziale Kontakte. Die Bindung zu einem Menschen kann sehr viel Kraft geben. Ich hatte mittlerweile das Glück, sehr innige Begegnungen zu erleben. Das ist ein sehr schönes Gefühl. Ich fühle mich dann nicht mehr völlig allein auf der Welt.
Gerade im GpZ entstand schon so manches schöne Gespräch mit Kollegen. Wer ähnliche Probleme kennt, kann den anderen besser verstehen. Ich habe mir aktuell Unterstützung von einer Sozialarbeiterin in Form von ambulant betreutem Wohnen geholt.
Es bedeutet ein sehr großer Schritt für mich diesen Artikel zu schreiben. Noch vor einem Jahr hätte ich niemals darüber geschrieben, dass mich meine Eltern abgelehnt haben, denn solche Erfahrungen sind mit großen Schamgefühlen verbunden. Wichtig ist, immer dran zu bleiben, nicht aufzugeben und sich Unterstützung holen. Ein Therapeut gab mir mal den Rat, ich solle mir Menschen suchen, die mir wirklich gut tun. Das versuche ich zu beherzigen…
Bilder sind von der Künstlerin AB.
anonym