Außenseiter – Selbstgemacht?


hellblau_punktFrüher habe ich mich über die Arbeitsstelle, die ich innehatte, definiert, ich war ein Teil der Gesellschaft. Dann wurde ich krank. Das gehört zum Normalsein dazu. Aber die Krankheitsphasen wurden immer länger. Irgendwann hieß es, ich wäre auch psychisch krank. Um wieder ein „Normalo“ zu werden, wurde ich zur Kur geschickt und bekam gleich acht Wochen genehmigt. Aus den acht Wochen wurden acht Monate. Ich hatte Glück, ich behielt meinen Arbeitsplatz und gehörte wieder dazu, aber nicht wirklich. Nach meiner Rückkehr bekam ich Arbeiten, die mich unterforderten. Einen großen Teil meiner bisherigen Aufgaben hatte ich verloren. Ich gehörte nicht mehr dazu, wollte es aber nicht wahrhaben. Als ich einen Aufhebungsvertrag mit einer Abfindung angeboten bekam, geriet ich wieder in eine Krise. Alles sprach dafür, das Angebot anzunehmen. Nach langem Hin und Her unterschrieb ich den Vertrag. Es läpperten sich die Diagnosen, weshalb ich auch weiter Krankengeld bekam. Als nach insgesamt 78 Wochen Krankengeldbezug auch diese Quelle versiegte, musste ich einen Rentenantrag stellen, einen Behindertenausweis hatte ich bereits. Ich war jetzt EU-Rentnerin mit Behindertenausweis und wurde im

Ambulant betreuten Wohnen (ABW) betreut, wie schrecklich. Ich zog von meinem bisherigen Arbeits- und Wohnort nach Überlingen, wurde hier weiterhin durch das ABW betreut, aber der große Fortschritt: ich durfte wieder Arbeiten, auch wenn es nur „Therapeutisches Arbeiten“ hieß und in einer Werkstatt für behinderte Menschen, dem GpZ, stattfand. Ich fing mit insgesamt acht Stunden in der Woche an, zu mehr war ich nicht in der Lage. Ich konnte auch noch nicht in meiner Wunschabteilung, dem Digital Service, anfangen, wurde im Garten- und Landschaftsbau „geparkt“. Es machte mir nichts aus, Unkraut zu jäten, aber für immer wollte ich nicht dort arbeiten. Nach über einem Jahr, als der Digital Service in den neuen Standort im Gewerbegebiet Zum Degenhardt umgesiedelt war, bekam ich dort einen Platz. Der Wechsel fiel mir leicht, weil ich mein Wissen im Bürobereich einbringen konnte. Ich fand es auch angenehm, nicht so den Witterungsbedingungen ausgesetzt zu sein und mich nicht mehr nach dem Zwiebelprinzip anziehen zu müssen Nach einiger Zeit musste ich krankheitsbedingt die Arbeitszeit um zwei Stunden verringern, so dass ich nur noch sechs Stunden in der Woche arbeiten konnte. Und es stand wieder ein geplanter

Klinikaufenthalt an, so dass ich längere Zeit im GpZ gar nicht anwesend war. Zeitgleich mit meiner Rückkehr nach dem Klinikaufenthalt verlor ich meinen festen, eigenen Schreibtisch und wurde ins Großraumbüro umgesiedelt. Ich musste mir den Platz mit einer Kollegin teilen, die nur vormittags da war, während ich vorwiegend von 11:00 bis 15:OO Uhr arbeitete. Auch wenn es abgesprochen war, hat mir das anfangs sehr zugesetzt und ich bildete mir ein, auch hier bin ich nicht mehr willkommen. Aber die Arbeit machte mir Spaß, ich durfte für die GePetZt schreiben und bekam kleinere Aufgaben, die mir meist keine Probleme machten. Da fühlte ich mich doch angenommen. Ich war wieder ein Rädchen im Getriebe. Es setzte mir aber zu, dass ich nicht alles machen konnte. Wenn ich gefragt wurde „Hast du das schon mal gemacht?“ war meist meine Antwort: „Das ist schon so lange her, ich glaube, das kann ich noch nicht allein“, oder eben auch „Das kann ich nicht“. Diese Fragen und Antworten wurden immer mehr, ich traute mir fast gar nichts mehr zu. Als wenn das alles nicht schon genug gewesen wäre, kam auch noch hinzu, dass ich beim Drucker einen Papierstau nach dem anderen auslöste und an der Schneidemaschine einen Schaden verursachte.

Zeichnung: R.T.

Ich grenzte mich immer mehr aus. Als dann der Digital Service in die Bereiche Handel und Druckstudio aufgeteilt wurde und ich in das Druckstudio wechselte, wurde alles nur noch schlimmer. Es gab einen Fragebogen, in dem ich angeben sollte, was ich in bestimmten Bereichen schon kann. Ich musste feststellen, dass es nur ganz wenige Sachen gab, die ich schon mal gemacht hatte, ohne einen Schaden anzurichten. Die Psychotherapie, die ich in der Zeit machte und die mich sehr beanspruchte, war oft Auslöser, dass ich nicht im GpZ sein konnte.
Im neuen Bereich Druckstudio wurden nun wöchentliche Montagsbesprechungen eingeführt, in denen jeder sagen musste, woran er oder sie in der letzten Woche gearbeitet hatte. Ich empfand diese als ganz schlimm, denn ich hatte nur ganz wenig zu sagen, da ich ja eben nur jeweils drei Stunden am Montag und Dienstag da war.

Ich bekam Minderwertigkeitskomplexe und schottete mich immer noch weiter ab und fehlte noch öfters. Es gab zwar über die Montagsbesprechungen Protokolle, aber was intern so im Degenhardt los war, bekam ich nicht mit, was mein Gefühl, außen vor zu sein, sehr verstärkte. Dieses Thema habe ich in langen Therapiegesprächen mit meinem Psychotherapeuten und auch mit meiner Betreuerin vom ABW intensiv bearbeitet. Inzwischen glaube ich, dass ich mich selbst zum Außenseiter im GpZ mache und nicht von anderen dazu gemacht werde. Dass ich mich selbst und meine Tätigkeit in Frage stelle, sind meine eigenen Gedanken und Interpretationen. Diese Erkenntnis brachte mich dazu, den Blick wieder mehr nach vorne zu richten, und so habe ich mich mal vorsichtig erkundigt, welche Voraussetzungen notwendig sind, um im Berufsbildungsbereich zu arbeiten und welche im Arbeitsbereich (AB).

Da sind noch viele Hürden für mich zu überspringen. Im Berufsbildungsbereich (BBB) muss ich 20 Stunden in der Woche anwesend sein, inclusive Pausen, für den Arbeitsbereich sind es nur 17,5 Stunden. Als weitere Voraussetzung muss ich den BBB durchlaufen haben, es muss die Feststellung der wesentlichen Behinderung sowie die volle Erwerbsunfähigkeit vorliegen. Bei diesen Überlegungen drängt sich mir allerdings der Eindruck auf, dass ich mich immer noch oder wieder nur über die Arbeit, d.h. die Leistung definiere. Ich lasse außer Acht, dass ich hier gelernt habe, wie ich mit anderen umgehen kann, dass ich hier die Möglichkeit habe, Feedback zu bekommen und zu erfahren, wie ich auf andere wirke. Durch die Tätigkeit im GpZ haben sich auch Kontakte zu den Kolleginnen und Kollegen entwickelt, was mir sehr wichtig ist. Ich bin gespannt, ob ich es in Zukunft schaffen werde, mich vom Leistungsgedanken noch mehr zu lösen – wünschen würde ich es mir!
hellblau_punkt V.T.