Suizidalität oder „Warum sterben“?


Warum ich trotzdem weiterlebe!

Wer schon mal Selbstmordgedanken mit sich herumgetragen hat, weiß, wie schwer es einem fällt, auf der einen Seite der momentan kaum erträglichen Situation ein Ende zu machen aber auf der anderen doch leben zu wollen; aber dann eben ohne Sorgen und Probleme! Auch wenn die Freiheit zur Selbsttötung zu unserer menschlichen Existenz gehört, so erfolgen zirka 90% aller Suizide im Rahmen psychiatrischer Erkrankungen und damit in Zuständen mit eingeschränkter Urteilskraft. Depressive Erkrankungen stellen die häufigste psychiatrische Ursache für Suizide dar. Die Optimierung der Versorgung depressiver Patienten ist somit eine der aussichtsreichsten Strategien zur Suizidprävention.

Suizidalität, auch Suizidgefährdung oder umgangssprachlich Lebensmüdigkeit genannt, umschreibt einen psychischen Zustand, in dem Gedanken, Phantasien, Impulse und Handlungen anhaltend, wiederholt oder in bestimmten krisenhaften Zuspitzungen darauf ausgerichtet sind, gezielt den eigenen Tod herbeizuführen. (Quelle: www.wikipedia.de)

ZWEI GEDICHTE, ENTSTANDEN IN EINER TRAURIGEN ZEIT: SEHNSUCHT Ich sehne mich danach, wie der Vogel den Wurm anlacht. Wie der Kranke gesund werden will. Wie die Schwangere ihr Kind sehen will! Was suche ich noch hier? Was habe ich hier verloren? Mein Platz ist schon lange leer und es gibt keinen Neubeginn mehr! Woanders kann ich glücklich werden… es ist die Ewigkeit… die mich ruft. Ich schließe meine Augen, träume davon, werde schwach und schwächer, mein Atmen wird langsamer und leiser… es ist geschafft: auf meine Weise!

TRÄNEN Wenn sie fließen sucht man ständig, zu fühlen, man ist lebendig! Doch am Leben zu sein, ist nicht leicht, wenn der Geist von mir weicht. Und doch jeden Morgen fängt das Leben von Neuem an. Das ist absurd und gemein! Warum soll es nicht so sein, dass man selbst entscheidet WIE und WANN… und DOCH fängt es immer wieder von vorne an!  

Erfahrungsbericht:

Ich war eigentlich ein glückliches Kind: fröhlich, offen, etwas schüchtern, aber doch gerne auf der Welt. Ich habe gerne gelebt, kann man sagen. Doch meine Erlebnisse in meinem Leben haben mich geprägt. Oft gebe ich meiner Sensibilität die Schuld, obwohl ich eigentlich froh darüber sein kann. Denn sensible Menschen „sehen mehr“ vom Leben! Aber das ist ein anderes Thema. Meine erste ernste Enttäuschung war niederschmetternd! Ich dachte ich muss sterben, weil es so wehgetan hat. Wahrscheinlich habe ich zuviel vom Leben erwartet, oder ich hatte einfach eine viel zu perfekte Vorstellung von Freundschaft oder Liebe. Doch die Realität sieht ganz anders aus! Das musste ich mit viel Schmerz und Kummer feststellen. Schon damals, ich war noch jugendlich, habe ich daran gedacht zu sterben. Mir einfach das Leben zu nehmen, weil ich mit der Traurigkeit nicht klargekommen bin. Ich nenne das meine „Anfangssuizidalitätszeit“. Es war schlimm für mich enttäuscht zu werden. Für mich gehörte das nicht zum Leben dazu, das ich mir immer gewünscht hatte. Später hat sich das dann alles nur noch verstärkt. Als ich dann krank wurde und in die Klinik kam, ging es bergab. Ich war ein Nichts, ein Niemand; wertlos. Viele Jahre habe ich nicht gecheckt, was mit mir los ist, warum ich dem Leben so überdrüssig bin. Habe dann nach langem Mich-Dagegen-Wehren zum ersten Mal Antidepressiva eingenommen. Das war ein wichtiger Schritt: Sich einzugestehen, dass da etwas gegen mein eigentlich lebensfrohes Ich läuft. Es wurde aber nicht besser… irgendwann war ich dann so am Boden zerstört, dass ich fast eine Dummheit begangen hätte. Es war so knapp, ehrlich! Aber ich hatte Glück, dass ich doch noch kalte Füße bekommen habe und dass mein Arzt am nächsten Tag die richtigen Fragen gestellt hat und ich ehrlich zu ihm war. Ich wurde sofort in die Klinik eingewiesen. Dort angekommen dachte ich, ich komme nie wieder nach Hause; weil ich so tieftraurig war und ich keine Chance sah, je wieder glücklich zu werden. Aber dann wurde ich auf ein sehr gutes Medikament eingestellt, das sofort gewirkt hat. Langsam, von Tag zu Tag, ging es mir besser. Es war unglaublich, ich war auf dem Weg wieder glücklich zu werden. Ich konnte es gar nicht fassen, meine Suizidalität löste sich nach und nach in Luft auf! Dabei war sie mein ständiger Begleiter geworden und ich hatte mich schon so an sie gewöhnt. Doch ehrlich gesagt: Ich bin froh sie los zu sein, denn ich brauche sie nicht zum Leben. Ich fühle mich wieder frei! Es ist ein Gefühl, es fühlt sich an, als ob ich wieder lebe! Anonym

Falsche Vorstellungen und Irrtümer:

„Wer vom Suizid redet, wird ihn nicht begehen“ Falsch: Von 10 Suizidanten sind es 8, die unmissverständlich von ihren Absichten gesprochen haben.

„Wer einen Suizid begeht, will sich unbedingt das Leben nehmen“
Falsch: Die meisten Suizidanten schwanken zwischen dem Wunsch zu leben und zu sterben. Doch kaum einer nimmt diesen Kampf richtig wahr. Und wenn, ist man hilflos.

„Wer einmal zum Suizid neigt, wird es immer wieder tun“ Falsch: Suizidanten haben im allgemeinen nur während einer begrenzten Zeit ihres Lebens den Wunsch, sich zu töten. Das kann sich allerdings wiederholen.

„Ein Suizid geschieht ohne Vorzeichen“ Falsch: Viele Betroffenen haben sich lange genug durch unmissverständliche Zeichen oder Handlungen bemerkbar gemacht – vergebens!

„Wenn sich eine suizidale Krise auflöst bedeutet das auch das Ende des Risikos“ Falsch: Die meisten Suizide geschehen wenige Monate nach Beginn der Besserung, wenn der Patient von neuem die Energie hat (selbstzerstörerische) Entschlüsse zu fassen und auszuführen.
(“ Quelle: www.psychosoziale-gesundheit.net)

Und die alte Erkenntnis nicht vergessen: „Jedem Suizid geht ein missglücktes oder nicht stattgehabtes Gespräch voraus. Denn, so die alte Erkenntnis: Selbstmörder ist man lange, bevor man Selbstmord begeht. Oder noch eindrücklicher: Selbstmord, das ist die Abwesenheit der anderen.

(c) Rainer-Sturm/Pixelio

Konkrete Maßnahmen

Die im normalen Alltag üblichen und meist auch sinnvollen Vorschläge, Ermahnungen und wohlmeinenden Aufmunter-ungen sind im Gespräch mit Suizidgefährdeten oft fehl am Platz. Denn es dürfte für den Betroffenen kaum einen Lösungsansatz geben, den er nicht schon selber erwogen, geprüft und wieder verworfen hätte. Die Wiederholung solcher Argumente muss ja den Eindruck erhärten, es sei schon wirklich alles versucht worden – umsonst. Daher soll man nach und nach mit großer Vorsicht die aufgestauten Aggressionen zu kanalisieren versuchen. Wichtig ist vor allem das laute und deutliche ansprechen und aussprechen und damit bewusstmachen bisher unbewusster oder verdrängter zwischenmenschlicher und persönlicher Probleme. Dazu gehören eine Reihe von gezielten Fragen, die in einer solchen Notsituation „Luft schaffen können“. Sie wirken zwar auf den ersten Blick sehr persönlich, direkt, indiskret, fast unzumutbar. Andererseits: Wie hoch kann der Preis werden, wenn sich die Zurückhaltung nicht auszahlt? Was ist wichtiger: Die Wahrung sogenannter gesellschaftlicher Normen oder die Erhaltung eines Lebens? Doch der offene Dialog ist schon deshalb fruchtbarer, weil auch der Suizidwillige lange nicht weiß, was er nun eigentlich will und vor allem wie, wo und wann er es will. Allein die Aussprache über die selbstzerstörerischen Impulse schwächt aber diese gefühlsmäßigen Spannungen meist entscheidend ab. Dagegen sind Rückzug und damit Isolationsgefahr bzw. gar der Abbruch aller mitmenschlichen Kontakte nicht nur überaus gefährlich, sondern auch viel häufiger als man annimmt. Deshalb auf die Stillen oder still gewordenen achten.   Prof. Dr. med. Volker Faust

carina s.

Bilderquelle: www.pixelio.de