vom Mammut zum Senfkorn
Der 30-jährige Krieg und auch die Pest dezimierten die Bevölkerung dramatisch. Besonders hart traf es die Regionen durch die Armeen zogen. Dazu zählten insbesondere Norddeutschland, Niedersachsen, Mitteldeutschland sowie das Gebiet des heutigen Hessen und Bayern. Obwohl einige Regionen wie Hamburg sowie Österreich verschont blieben, schrumpfte die deutsche Bevölkerung um mehr als ein Drittel und erreichte erst gegen Mitte des 18. Jahrhunderts wieder den Stand von 1618.
In manchen Regionen war die bäuerliche Bevölkerung nahezu ausgestorben. Die Felder lagen brach und konnten nicht mehr im vollem Umfang bewirtschaftet werden. Zudem führten auch verregnete Sommer und kalte Winter in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts immer wieder zu Missernten und Hungersnöten. Daher wurde vermehrt Kohl und Wurzelgemüse angebaut und auch der Fleisch- und Fischanteil bei der Ernährung erhöhte sich signifikant.
Dennoch war die bäuerliche Küche immer noch überwiegend vegetarisch ausgerichtet. Als Grundnahrungsmittel diente das Brot. Ergänzend gab es Getreidebreie, vor allem aus Gerste und Hafer, aber auch Hirse und Dinkel fanden Verwendung. An Gemüse gab es vor allem Rüben, Lauch, Rettich, Möhren, Zwiebel und Gurken, sowie verschiedene Kohlsorten. Nicht zuletzt waren auch Hülsenfrüchte wie Linsen, dicke Bohnen und Erbsen ein tragender Grundpfeiler der damaligen Ernährung. Kräuter und verschiedene Salate, wie etwa Rapunzel (Feldsalat) rundeten das Angebot ab. In schwierigen Zeiten wurden überwiegend Rüben und Kohl, der im Winter meist als Sauerkraut aufbereitet war, verzehrt. Auch in den Küchen des Adels war Sauerkraut ein wichtiger Bestandteil des alltäglichen Speisezettels.
Ansonsten war es überwiegend Geflügelfleisch, welches man auf den Tischen des bürgerlichen und bäuerlichen Haushalts vorfand. Wild war immer noch ein Privileg der Adligen. Auch das Fleisch von Rind und Kalb war weitgehend ausgeschlossen. Das Vieh diente einerseits zur Milchproduktion, aber auch als Fleischreserve der Landherren. Es kam daher fast ausschließlich auf den Tisch der hohen Herren. Die Innereien wie Lunge, Nieren, Hirn und andere wurden restlos verwertet. Diese fand man dann aber eher auf dem Speiseplan der einfacheren Leute wieder. Wenn die Tiere geschlachtet wurden, musste eines der edleren Fleischstücke an die Herrentafel geliefert werden. Das so genannte Bügermeisterstück war auf dem Land teilweise noch bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts üblich. Geschlachtet wurde meist von September bis Oktober sowie an großen Festtagen wie Bürger- bzw. Bauernhochzeiten.
Bei Fisch zählten Lachs, Hecht, Barsch und Aal zur Herrenspeise. Den Bauern blieben immerhin Neunauge, Hausen, Forelle o.ä. Wenn das Angebot reichlich war, nahm man es mit der Trennung jedoch nicht überall so genau. Auf den Märkten der Städte wurden zudem eingesalzener Hering und Kabeljau angeboten und auch den Stockfisch konnte man dort finden.
Unabhängig von der Jahreszeit, standen allen Küchen, der herrschaftlichen und der bürgerlich/bäuerlichen, Käse und Eier zur Verfügung. Von der Jahreszeit abhängig waren dagegen die heimischen Früchte und Beeren, wie Äpfel, Birnen, Pflaumen und Kirschen, aber auch Quitten, Schlehen, sowie Erdbeeren, Brombeeren, Johannisbeeren, Stachelbeeren, Blaubeeren, Hagebutten, Holunderbeeren und Haselnüsse. In der herrschaftlichen Küche setzte man zusätzlich auch Weintrauben, frisch oder getrocknet, sowie importierte Früchte wie Feigen und Datteln, Mandeln, bittere Orangen und Limonen ein.
Besonders Mandeln waren in den herrschaftlichen Küchen nahezu unentbehrlich. Zum einen waren sie einer der Grundbestandteile einer begehrten Nascherei der damaligen Herrenhäuser, dem Marzipan. Daneben wurden sie größtenteils im Mörser zerstoßen und mit Wein und Wasser zu Mandelmilch verarbeitet. In der Fastenzeit ersetzte diese die normale Milch und war die Basis vieler Rezepte.
Weniger an den Tafeln der hohen Herren, aber an den Festtafeln der Bauern und ärmeren Schichten spielte immer die Angst um Missernten und Hungersnöte eine Rolle. So nahm das Essen an diesen Festtagen oft exzessive Formen an. Man fraß sich voll aus Angst, der Teller könne schon morgen leer bleiben.
Obwohl es immer wieder Missernten gab, erlaubten es Erfahrung, sowie immer bessere Werkzeuge und technische Hilfsmittel größere Ernten. Neue Konservierungsmethoden und auch die Erfahrung über die Wirkung und das Zusammenspiel der Lebensmittel machten die Erzeugung, Weiterverarbeitung und Lagerung der Lebensmittel einfacher. Die Erschließung neuer Länder und Kontinente und de damit verbundene Handel bereicherte auch unsere Region mit immer mehr neuen Lebensmitteln und Gewürzen.
So fand auch die Kartoffel ihren Weg zu uns. Eingeführt wurde sie zuerst in den Gärten der Fürstenhöfe, ihrer schönen Blüte wegen. Nur nach und nach lernte man, auch die Kartoffel als Nahrungsmittel zu schätzen. Ausschlaggebend hierfür waren vor allem Hungersnöte, die durch Getreidemissernten verursacht wurden. Anders als Getreide brachte die Kartoffel auch bei schlechten Böden und Witterungsverhältnissen einen großen Ernteertrag.
Es dauerte jedoch sehr lange, bis die Skepsis gegen diese sonderbaren Knollen abnahm. Für ihre Verbreitung hat sich besonders der Preußenkönig Friedrich der Große im 18. Jahrhundert verdient gemacht. Denn auch sein Land Preußen, besonders die Provinz Brandenburg, hatte vielfach schlechte Sandböden. Dennoch wehrten sich auch die Bauern in Preußen anfänglich gegen den Anbau der Kartoffel. Die überirdischen Früchte waren ungenießbar und auch die Knollen aus der Erde waren, ungekocht, nicht nach ihrem Geschmack. – Nicht einmal der Hund wollte sie fressen.
Der König soll sich, um den Anbau der Kartoffel zu fördern, auch einer List bedient haben. Er ließ Felder mit Kartoffeln von Soldaten bewachen. Diese hatten Befehl, auf alles Mögliche zu achten, nur nicht auf räuberische Bauern. Nicht ohne Erfolg! Denn schon zu dieser Zeit galt: Alles was verboten ist, hat seinen besonderen Reiz…
Der eigentliche Durchbruch gelang dann mit dem Kartoffelbefehl, den Friedrich der Große 1756 erließ. Jeder Bauer musste unter Androhung von Strafe, Kartoffeln anbauen.Ohne die Kartoffel wäre die Versorgung der Bevölkerung, in den schnellwachsenden Städten, während der Industrialisierung, nur schwer vorstellbar gewesen. Und bis heute gehört sie zu den Grundpfeilern unserer Ernährung.
War es bis ins 19. Jahrhundert hauptsächlich üblich, sich selbst zu versorgen, so waren im industriellen Zeitalter die Arbeiter hauptsächlich von ihrem Lohn abhängig. Der Güteraustausch und besonders die Nahrungsmittelproduktion mussten neu organisiert werden, um alle ernähren zu können. Ein neues System mit industriell produzierten Nahrungsmitteln entstand. Deutschland entwickelte sich vom Agrarstaat zum Industriestaat. Viele Nahrungsmittel wurden importiert. Die Ernährung war nun geprägt von der Wirtschaftslage. Missernten konnten durch den Güteraustausch ausgeglichen werden, wodurch es keine Abhängigkeit vom Ernteertrag mehr gab. Hungerzeiten gab es jetzt zwar auch noch hin und wieder, sie wurden aber eher durch Kriege oder wirtschaftlich schlechte Zeiten ausgelöst.
Die Unterschichten wendeten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ca. 50 bis 70% ihrer Einkünfte für Nahrung auf. Erst in der 2. Hälfte des Jahrhunderts stieg auch der Konsum an Fleisch, Zucker, Kaffee (meist Malzkaffee), Weißbrot sowie Obst und bereicherten den Speisezettel erheblich. Das hing nicht nur mit der Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktivität im Getreidebau und in der Viehzucht zusammen. Verbilligte Handelswaren, auch aus Übersee, aber auch die neu aufkommende Nahrungsmittelindustrie mit Produkten wie z. B. Liebigs Fleischextrakt, Kathreiners Malzkaffee, Margarine als Butterersatz und billige Konserven hoben den Lebensstandard vor allem bei den der ökonomisch schwächeren Schichten. Als dann auch nach 1900 der Reallohn der Arbeiter stieg, verringerte sich der Anteil des Einkommens, der für Nahrungsmittel aufgewendet wurde auf rund 30 bis 40 %. Immer mehr Kochbücher mit mehr oder weniger raffinierten Rezepten verführten zum Nachkochen. Der raffinierte Einsatz von Gewürzen und neue Garmethoden führten dazu, dass auch in einkommensschwachen Haushalten, die Mahlzeiten nicht mehr nur zum satt werden dienten, sondern immer mehr zu einem kulinarischen Vergnügen wurden.
So führt die Ernährungsgeschichte vom Mammut, dem größten, in der Ernährungsgeschichte bekannten Tier, welches anfangs roh verzehrt nur dazu diente, das Leben der Menschen zu erhalten, zum Senfkorn, dem kleinsten Samenkorn, welches stellvertretend steht für die kulinarische Verfeinerung unserer heutigen Speisen, die mehr zum Genuss als zum Muss dienen.
DB