Von Herzen krank


Mein Text hier ist 20 Jahre alt. Ich habe mich an ihn erinnert,
als wir das Thema dieser Ausgabe der ZOOM nah dran besprachen.
Ich habe ihn gesucht und gefunden. Ein Text, der gelinde
gesagt von Liebeskummer handelt. Im Extrem. Er beschreibt in
einer fiktiven Szene das Ende einer unglückseligen Liebschaft.
Ich war sehr jung damals. Das Erleben ist überzeichnet. Ich
habe das so nicht erlebt. Aber fast. Ich war liebeskrank.

Carmen war abgereist. Sie sagte nicht, dass sie Abstand brauche. Sie sagte, sie brauche Distanz. Das bedeutet dasselbe. Sie hatte nach einem Streit in aller Eile einen Koffer gepackt und war zu einer Freundin gefahren. Ich blieb zurück, wie eine achtlos zerknüllte, fortgeschmissene rötchentüte, die der eisige Winterwind über die Seepromenade weht. Meine Wohnung war krisenhaft leer, ohne Carmen. Leer wie die Leinwände, die wie Betonplatten in den Raum ragten. Ich fragte mich, ob es nicht eine Brücke gäbe über die Zerschlagung hinweg. Über die Einsamkeit, die Isolation und die Unlösbarkeit meiner Verstrickung mit Carmen. Eine Brücke darüber. Hinein in eine Welt aus Frieden. Nicht diese erdrückende Stille. Ihre Nachricht dröhnte vom Anrufbeantworter. So feuerte sie eine emotionale Splittergranate ab. Diese schoss durch den Raum und jagte die leeren Leinwände in die Luft. Ich trat eine kaputt und schleuderte den Rest in die Regale des Ateliers. Dann brach ich weinend zusammen. Ich kniete inmitten des Raumes und mir war als würde ich von einer Walze überrollt. Ich lauerte wie verlassen auf einer Großbaustelle und presste Tränen aus
meinem stählernen Herz. Ich kniete und hielt meinen Tränen triefenden Kopf in Händen. Eine Welt ohne Carmen existierte nicht, denn in einer kalten Nacht, in der ich über eine Baustelle torkelte und mir Wunden schlug. Ich war nicht bereit einzusehen, dass all dies Resultat einer zerstörerischen Liebe war. Im Zuge derer hatte ich mich aufgegeben und verloren. Verloren jetzt in einer Nacht, in Isolation. Ein Leben, das in den buntesten Farben geblüht hatte, war abgebrannt.

Sie, Carmen, hatte Feuer gelegt und Felder mit strohigen, bunten Wiesenblumen waren verbrannt. Es blieb ein stählener Kahlschlag und Schmerz wie schwarzes Pech, in dem ich mich schlaflos wandte. Diese Liebe war eine düstere Ausweglosigkeit, in der ich einzig mein Herz
bewahren konnte. Diese Liebe war eine Kralle. Sie war falsch, eine Täuschung und es bleibt nur eine erschöpfte Seele im Aschgrau des Winters. Mein Herz sehnt sich nach Blüte und friert doch nur blutleer im Takt der Küchenuhr. Ich wasche mich nicht mehr. Ich esse kaum. Wenn, dann Nudeln mit Soße. Tag für Tag. Ich trinke zu viel. Ich trinke Wein. Auch schon am Morgen. Ich analysiere Carmens Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Es ist ein finsterer Trip. Meine kleine, persönliche Hölle. Ich erwache verkümmert am Morgen, verzweifelt und bedrückt gehe ich zu Bett. Am Ende der Woche eine weitere Nachricht auf dem AB. Die letzte Hoffnung schwindet. Das ist gut. So weiss ich, so will ich, was ich ehedem seit langem will. Dass es aus ist. Ich beschwöre das Ende. Ich sehnte es herbei wie einen Laster, der mich überrollen würde. So bleibt noch eine Woche, während der ich mir ein Magengeschwür einbilde. Mein Blutkreislauf funktioniert nicht. Ein Magenwanddurchbruch. Schließlich halte ich es nicht mehr aus. Die Sehnsucht nach Liebe, nach Nähe, nach Vertrauen, setzt mich in Bewegung. Einzig Gott kann mir in dieser Situation helfen. Ich will mich zu ihm flüchten. Ihm alles erzählen. Verzweiflung endet in Aufgabe und nach nichts sehne ich mich mehr als nach Aufgabe
meiner Sehnsucht. Mit letzter Energie werfe ich ein paar Klamotten und meine Zahnbürste in einen Koffer. Ich gehe, als ich Carmens Stimme das letzte Mal höre. Ihre Telefonstimme ätzt sich wie blutige Striemen in meinen Rücken. Als ich zur Tür gehe, reiße ich den AB aus der Wand. Carmens Stimme spritzt wie Gift gegen die Wohnungstür. Sie fällt hinter mir krachend ins Schloss. Ich will nicht hören, was Carmen sagt. Ich bin liebeskrank und werde therapiert.

Carsten Weigelt