Menschen verbinden auf 7.700 Kilometern


 Jeder Tag ein Weg zum Ziel.

gruner_punktHarry Ohlig hat als Eventmanager in 22 Jahren alle Ziele erreicht und seine bisherige Existenz aufgegeben, um sich der Kinderhospizarbeit zu widmen. Dazu gründete er das soziale Projekt GIGANICA. Sein erstes Projekt „Der Hoffnungslauf“ startete am 10.02.2014. Jeden Tag einen Halbmarathon, unabhängig von der Witterung, ein Jahr lang. Das ist Programm für einen Mann, der in seinem bisherigen Leben kein Extremsportler war. Seit August 2013 trainierte er für dieses ehrgeizige Projekt mit 2400 Trainingskilometern.

Was treibt einen Menschen an, sein bisheriges Leben in Frage zu stellen und diese Strapazen auf sich zu nehmen, um sich einem gemeinnützigen Projekt zu widmen?

In diesem Exklusivinterview mit Harry Ohlig erfahren Sie mehr über die Hintergründe:

Die wichtigsten Themen sind: Abschied vom Bewährten – Energie zum Aufbruch – Überwindung von Hemmschwellen – Durchhaltevermögen – Motivation zum Loslassen – Entwicklung von Selbstvertrauen – Wachstum im Handeln – Kontinuität auf neuem Lebensweg

GePetZt: Wir befassen uns mit menschlichem Wandel und den treibenden Kräften. Sie haben alles erreicht. Sie hätten in der Leistungsgesellschaft Grund genug, der glücklichste und stolzeste Mensch zu sein. Was brennt in Ihnen jeden Tag, das sie in Ihre Laufschuhe zwingt?

Harry Ohlig: Alles erreicht haben, bezieht sich auf das Berufliche, nicht auf das Private. Als Event- und Marketingmanager durfte ich das Unternehmen TOP10 von Null zu einem Imperium aufbauen. Ich habe sehr viel zum Erfolg beigetragen. Ich arbeitete sehr lange erfolgsorientiert. Beruflicher Erfolg war sehr wichtig! Doch spürte ich auch die Schattenseiten. Hast, Denken in Erfolgs- und Misserfolgskategorien ließen mich sehr schnell erkennen, dass es auch menschlichen Erfolg gibt. Die Gefahr des Workaholics war vor dem Familienhintergrund präsent. Vor drei Jahren hatte ich schließlich ein Schlüsselerlebnis. In Kooperation mit der Caritas rief ich eine Tanzveranstaltungsreihe für Menschen mit und ohne Behinderung ins Leben, mit der Intension der Inklusion. Behinderung sollte bei einem Familientag nicht mehr im Raum stehen. Bei der ersten Veranstaltung beeindruckte mich die Begegnung mit einem unheilbar kranken achtjährigen Mädchen. In Deutschland sollte es wohl etwa 22.500 betroffene Kinder geben, die an derselben Erkrankung leiden. Ich beschäftigte mich plötzlich mit Kinderhospizen und entdeckte den Kinderhospizverein Olpe, gegründet in 1989. Gefühlsmäßig spaltete ich mich vom Beruf ab und „brannte“ für das Thema. Mir wurde bewusst, dass für sterbende Kinder in der Öffentlichkeit zu wenig getan wird. Mein Ziel war es, mit einem Projekt auf die Thematik hinzuweisen. Betroffene Familien sind zumeist sozial sehr isoliert, oft aus Scham. Ich musste etwas tun! Wenn man etwas bewegen möchte, muss es etwas Außergewöhnliches sein. Ein Mal um den See zu laufen, interessiert keinen. Wenn ich 365 Tage laufe, dann ist das schon eine andere Geschichte.
GePetZt: Das ist auch eine Überzeugung, mit dem Bewusstsein und den Ressourcen etwas zu bewegen. Was macht Sie so sicher in Ihren Ideen und Anschauungen?

Harry Ohlig: Meine Überzeugung! Natürlich habe ich menschlichen Ängste und Befürchtungen. Im Bekanntenkreis wurden meine Pläne zur Jobaufgabe mit 52 Jahren kritisch betrachtet. Nach einem Umbruch gibt es kein Zurück, auch finanziell. Ich habe alle beruflichen Brücken abgebrochen. Es gibt nur noch ein Geradeaus. Ich könnte nie wieder in meine alte Existenz zurück. Das klare „Ja“ zum Laufen prägt das erste Jahr meines Handelns. Ab dem zweiten Jahr soll in den 116 Kinderhospizen des Projekts eine Vortragsreihe gestartet werden. Eine Deutschlandtournee ist in Planung, um den Menschen Nachhaltigkeit zu vermitteln. Für einen Umbruch ist es wichtig, die Ängste zu überwinden. Die Frage war: „Was kann mir im schlimmsten Falle passieren? – Nichts!“ Wenn man etwas ganz Großes bewegen will, muss man auch persönliche Opfer bringen. Ich habe seit August 2013 kein Einkommen mehr und lebe seitdem von meinem Erspartem. Ich werde weiter laufen! Einnahmen werden konsequent zu 100 % in die Kinderhospizarbeit weitergeleitet. Das Spendenkonto bei der Stiftung ist für mich unantastbar. Es gibt nur ein Ziel, zu Ende zu laufen bis 10.02.2015!

GePetZt: Der schlimmste Fall ist gar nicht mehr präsent für Sie?

Harry Ohlig: Nein, weil ich keine Angst mehr habe! Ich habe meinen Entschluss gefasst. Was ist denn mein Opfer zu dem, was die Eltern dieser Kinder jeden Tag erleben müssen? Die Traurigkeit, zu wissen, dass ein Kind stirbt. Dann ist mein Opfer, alles zu verlieren, gar nichts! Das ist ein Opfer, das ich sehr gerne erbringe. Ich habe von Anfang an gesagt: Ich laufe für diese 22.500 Kinder, um die Gesellschaft zu sensibilisieren. Ein Ausschluss bestimmter Personen ist inakzeptabel. Ich möchte den Familien Würde und Anerkennung geben. Die Eltern haben eine Extrembelastung durch den möglichen Tod ihres Kindes. Geschwister haben Schuldgefühle, werden ins Abseits gedrängt, weil die Aufmerksamkeit dem kranken Kind gilt.

GePetZt: Sie beschreiten jeden Tag neues Land, sich Ihrem Projektziel nähernd. Sie folgen Idealen und nehmen eine andere Rolle in der Gesellschaft wahr. Sie haben einen großen Bekanntheitsgrad. Wie würden Sie die Reaktionen beschreiben und wie gehen Sie damit um? Passt das in das verankerte Gesamtbild Ihrer Person?

Harry Ohlig: Das ist eine interessante Frage! Es stellt sich alles anders dar, als ich es erwartete. Nahestehende Menschen und Firmen haben sich entgegen aller Erwartungen verhalten. Ich trat fortan nicht mehr in der Rolle des Lenkers und Repräsentanten, sondern als Privatperson auf. Ich war der „Spinner“, der anfängt zu laufen. Sie kehrten mir den Rücken zu. Die ernüchternde Erfahrung war, plötzlich ganz allein dazustehen. Dann fängt man erst einmal an, zu sortieren. Aus dem bisherigen Freundes- und Bekanntenkreis bleibt nicht einmal eine Handvoll übrig. Es kann nicht sein, dass ich mich als Firma nicht daran beteilige. In Deutschland gibt es ca. 1,8 Mio. Firmen. Da wird es doch 365 geben, die 3.850 Euro für eine wichtige Sache einsetzen können. Seid euch des Glückes bewusst, wenn ihr selbst und eure Kinder gesund sind, dass andere das Glück möglicherweise nicht haben! Wir benötigen Unterstützung für die ehrenamtliche Ausbildung von Helfern. Es hat sich etwas sehr Schönes getan! An die Stelle sind Menschen gerückt, die ich vorher nicht kannte. Reaktionen von betroffenen Familien und fremden Menschen bestärkten mich im Tun. Die Aufmerksamkeit ist da. Die Leute wissen, warum und für wen ich das tue. Ich führe Tagebuch auf Facebook.

GePetZt: Wie nimmt Sie diese neue Anhängerschaft wahr?

Harry Ohlig: Die Reaktionen sind positiv. Die anfängliche Skepsis wich. Ich werde ernst genommen! Nach drei Monaten wird klar: „Er läuft, hört nicht auf, egal, was da kommt!“ Der wichtige Punkt ist, ernst genommen zu werden, für was man einsteht. Tagesberichte werden mit Publikumsinteresse verfolgt. Die Leser sind mit dem Herzen dabei. Das ist schön!

Gepetzt: Sie hatten ein Schlüsselerlebnis in Ihrer letzten Tätigkeit, für die Sie eine Auszeichnung erhielten. Was ist konkret in Ihnen passiert, als Sie die Begegnung von Behinderten mit Nichtbehinderten und ein schwerkrankes Mädchen erlebten?

Harry Ohlig: Es war der glücklichste Tag seit langem in meinem Leben, Menschen zusammenzuführen. Die Unsicherheit im Umgang mit Behinderten löste sich langsam im Laufe der Veranstaltungsreihe. Bei der letzten Veranstaltung war nur das Gemeinschaftserlebnis im Vordergrund und Behinderungen nicht mehr existent. Inklusion als Selbsterfahrung des Tuns. Die Meisten würden gerne helfen. Ich arbeite aktiv für 116 Kinderhospize und habe daher deren Email-Adressen. Dies ist eine Art Aufforderung, jeden Tag an ein anderes Kinderhospiz zu schreiben. Viele Menschen wissen in einer solchen Situation nicht, was sie schreiben sollen, obwohl sie anonym bleiben können. Mein Rat an alle ist: „Seid authentisch und offen!“ Sie wollen nicht Mitleid, sondern Würde und Anerkennung. Nette Gesten ohne Schubladendenken. Die Angst vor Unbekanntem ist ein gesellschaftliches Manko. Sich auf Neues einlassen und die Facetten des Lebens zu entdecken, weckt mit schönen Begegnungen Begeisterung auf dem Weg, löst Vorbehalte und belohnt.

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GePetZt: Sie sind es auch gewohnt, effektvolle Events zu illuminieren. Der Lauf für das Projekt GIGANICA widmet sich einer Gruppe von Menschen, die weit weg von Publicity leben.
Können Sie den Grat und die Verbindung beschreiben, die Sie dabei schaffen?

Harry Ohlig: Ich weiß nicht, ob es eine Verbindung gibt. Es relativiert sich alles auf einem normalen Niveau. Es spielt keine Rolle, in welchem Umfeld ich mich bewege. Auch in der scheinbar funktionierenden Gesellschaft werden Probleme sichtbar und versucht, zu kaschieren. Menschliche Züge werden in einer Gruppendynamik gelebt. Gratwanderung ist viel intensiver. Die Konfrontation mit dem Tod gehört auch zum Leben. Wir sind endlich und sterblich. Das Leben ist ein Geschenk Gottes, für das ich jeden Tag danken muss. Aus Unwissenheit über Kinderhospize waren viele Firmen trotz meines Bekanntheitsgrades nicht bereit, zu spenden. Der Nutzen war nicht erkennbar. Ich wünsche mir Entscheider, die bewusst hinter der Sache (kranken Kindern) stehen. Geld steht für mein Projekt nicht im Vordergrund. Viele fragen sich: „Warum tut er sich das an? Warum hat er alles aufgegeben und riskiert den kompletten Ruin? Es kann jeder helfen! Eine nachhaltige Wirtschaft kann im Gewinnstreben nicht Menschen ignorieren, die zurückbleiben. Die soziale Verantwortung und die Bedeutung des Humankapitals im Beruf müssen zunehmen.

GePetZt: Sie wählen als Medium für Ihr Vorhaben eine Ausdauersportart und eine beeindruckende Zeit von einem Jahr. Warum wählten Sie diesen harten Weg und nicht beispielsweise eine Wohltätigkeitsveranstaltung?

Harry Ohlig: Weil ich entschlossen habe, den Menschen zu zeigen, dass ich selbst bereit bin, Opfer zu bringen. Das Gesellschaftsproblem ist, dass es zu viele Redner gibt. Nicht reden, sondern tun! Ich werde an meiner Leistung und nicht am Reden gemessen. Ich habe bewusst alle beruflichen Brücken abgebrochen, um nicht in die Bequemlichkeit zurückzufallen. Das ist mein Opfer und jeder kann ein Stück weit etwas tun!

GePetZt: Was gibt Ihnen dieses Durchhaltevermögen, auch unter widrigen Bedingungen? Gab es Augenblicke, in denen Sie über das Aufgeben nachdachten? Haben Sie ein Motivationsgeheimnis für schlechte Tage?

Harry Ohlig: Nein, kein Aufgeben! Ich stelle mir einfach ein krankes Kind und die Gefühle der Eltern vor. Ich habe immer 22.500 Gründe, motiviert zu sein. Ich bin nicht wichtig, sondern tue Wichtiges! Mein Projekt, die Sache, meine Botschaft sind wichtig. Ihr alle seid GIGANICA. Es gibt ein kleines Geheimnis, wie man ein sehr großes Projekt sicher bewältigen kann. Mein Projekt lebe ich jeden Tag. Mein Projekt besteht an diesem Tag nur aus diesem einen Tag. Ich mache mir keine Gedanken, was in einem Jahr ist. Oft scheitern Projekte daran, dass sich die Menschen zu viel Sorgen machen. Die Etappe ist ein kleiner Weg, die an diesem Tag ein Ziel hat. Die Gesellschaft ist oft in Zwängen und Sorgen verhaftet und lebt nicht jetzt. Das Leben ist heute! Nur wenn es in dir brennt, kannst du andere anstecken. Ich muss von meiner Idee, der Mission, überzeugt sein. Dann wird es Menschen geben, die mir folgen.

GePetZt: Gibt es wichtige Erfahrungen auf Ihren Etappen, die sie bestärken, Ihren Weg weiterzugehen?

Harry Ohlig: Jeden Tag wird in sozialen Medien diskutiert. Das vermittelte Bewusstsein motiviert und wird aus einer schönen Geschichte deutlich: Eine junge Mutter verfolgt das Projekt und liest das Tagebuch von GIGANICA als Gutenachtgeschichte ihrer 6jährigen Tochter vor. Als Sie Ostergrüße versenden wollte, bat Sie ihre Tochter, ein Hospiz anzuschreiben:
„An alle! Ich wünsche euch allen ein schönes Osterfest.“

GePetZt: Beobachten Sie einen Wandel in Ihrer Lebenseinstellung und welche Konsequenzen sehen Sie für den weiteren Lebensweg?

Harry Ohlig: Ich kann selbst entscheiden, was mich glücklich macht. Es ist nicht Geld, sondern persönliches Glück. Man muss den Menschen etwas geben, um etwas zurückzubekommen. Freunde sagen: „Wie kann man glücklich sein, wenn man sozial am Abgrund steht?“ Der Sinn meines Projekts wird dabei verkannt. Erfahre das Hospiz und du gehst als anderer Mensch wieder heraus. Die Menschen würden ihr ganzes Kapital hergeben, wenn sie weiterleben könnten. Glück und Freunde sind nicht käuflich. Ich bekomme jeden Tag von Menschen etwas zurück. Glück ist in den Mitmenschen, nicht im Kapitalismus verborgen. Ich war noch nie so glücklich wie jetzt. Grenzen entstehen im Kopf. Oft wird nicht das eigene Leben gelebt, sondern es werden die Erwartungen des Umfelds erfüllt. Sie sind der Lenker und können das Leben in jeder Sekunde ändern. Der richtige Umgang mit Angst ist wichtig. Angstblockaden aufzulösen, sich nicht von ihr regieren zu lassen und über sich selbst hinauszuwachsen, kann alle Lebensbereiche grundlegend verändern. Zitat: „Wachstum durch Verlassen der Komfortzone.“ Mut ist, etwas Neues zu wollen. Man kann das Leben nicht aufbewahren. Mutlosigkeit durch das Verharren im Sicherheitsdenken muss dem aktiven Handeln weichen. Wenn du etwas willst, tue es heute!

GePetZt: Was ist Ihre Botschaft an die Menschen?

Harry Ohlig: Jeder kann das. Niemals aufgeben! Wenn du einen Beschluss gefasst hast, dann tue das, egal was dir dein Umfeld einreden möchte! Jeder kann etwas bewegen. Er muss nur damit beginnen, nicht reden! Vermeide es, zu denken: „Man könnte…“ – Dann tue es!

Zitat Walt Disney: „Wenn du es dir vorstellen kannst, kannst du es auch machen!“

Wenn ich mir es vorstellen kann, 7.700 km laufen zu können, kann ich es auch tun. Als untrainierter Kettenraucher begann ich ein ½ Jahr vor Projektbeginn mit dem Lauftraining.
Was hindert mich daran? Es gibt keinen idealen Zeitpunkt zum Beginn. Jetzt ist der ideale Zeitpunkt zum Beginn! Wenn du etwas willst, dann tue es! Hab´ keine Angst davor! Egal, was mit mir wird. Ich werde nicht die Taten, sondern die verpassten Chancen, etwas zu tun, bereuen. Mein größter Wunsch ist es, dieses Projekt zu vollenden. Gehe in die Offensive! Wenn ich hinfalle, muss ich einfach einmal mehr aufstehen! Scheitern ist nicht das Problem, das Liegenbleiben. Wenn Sie erfolgreich sein wollen, müssen Sie mehr dafür tun. Erfolg ist, wenn ich Menschen begeistere. Wenn ich etwas will und gesund bin, gibt es keine Grenzen!

T.N.

Links:
http://www.giganica.de/
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© Fotos: Maridav und T.N.