Kinder- und Jugendpsychiatrie


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Die ersten Bilder, die mir in den Sinn kommen, wenn ich an Kinder denke, sind Spielplätze mit lachenden Kindern, die vertieft sind in ihr Spiel. Doch auch die Welt von Kindern ist nicht immer eine heile Welt, wie ich sie mir in diesen Momenten einbilde. Es gibt eine Kinder- und Jugendpsychiatrie für Kinder zwischen fünf und 18 Jahren. Die häufigsten Diagnosen bei Kindern und Jugendlichen sind Aufmerksamkeits-Defizitsyndrome, emotionale und soziale Verhaltensstörungen, Krisen, traumabedingte Störungen, Substanzstörungen und jugendliche Psychosen sowie Magersucht und Bulimie.
Auch schienbar ganz normale Kinder aus unserer Nachbarschaft können betroffen sein. Vertrauen sie sich einer oder einem Erwachsenen an, kann Hilfe hinzugezogen werden – oft mit einem ersten Anruf bei der Caritas. Dort gibt es ein psychologisch-heilpädagogisches Helferteam , das jungen Patienten psychologisch betreuen kann. Die Caritas vermittelt auch Kontakte zu niedergelassen Kinder- und Jugendpsychiatern und -psychologen sowie Gesprächstherapeuten. Eine wichtige Ansprechpartnerin im Bodenseekreis ist, z. B. Frau Dr. Dagmar Hoehne, seit vielen Jahren niedergelassene Ärztin der Fachrichtung Kinder- und Jugendlichenpsychologie und ausgebildete Psychiaterin. Im folgenden Interview beantwortet sie unsere Fragen.

GePetZt: Welche Diagnosen kommen in Ihrer Praxis am Häufigsten vor?
Relativ früh kommen Kinder mit ADHS in die Praxis. Dann folgen emotionale Störungen, die z. B. aus akuten Konflikten wie Mobbing hervorgerufen werden. Da gibt es aber noch andere Auslöser, die zu Ängsten, Störungen, Zwängen führen können. Bei etwas älteren Kindern – da sind dann Mädchen in der Überzahl – so ab ca. 12 Jahren, führen die Konflikte zu auffälligem Sozialverhalten wie Klauen, Lügen, Schule schwänzen, oppositionelles Verhalten gegenüber Erwachsenen (Eltern, Lehrer,…). Essstörungen kommen in einer geringeren Zahl vor.
GePetZt: Wann ist für Sie der Punkt erreicht, an dem Ihre jungen Patienten nicht mehr ambulant versorgt werden können?
Wir behandeln unsere schwierigsten Patienten etwa ein Mal pro Woche und bekommen dadurch aktute Verschlechterungen ihres Zustandes zeitnah mit. Dann stellt sich für mich mit dem PraxisTeam die Frage, ob sich eine Psychose entwickelt hat, die dann auch stationär in der Psychiatrie behandelt werden muss.
GePetZt: Sie behandeln ja viele Jugendliche jahrelang – kann man sagen, dass viele der Teenager schon als Kinder bei Ihnen waren?
Für mich ist da das große Stichwort die Entwicklung. ADHS ist angeboren, das ist eine Andersartigkeit im Denksystem, das häufig Kollisionen mit der Außenwelt verursacht. Autismus kann unterschiedliche Verläufe nehmen, je nachdem, wie die Entwicklung sich vollzieht.
Zwangsstörungen beginnen mit kleinen Anzeichen, die leicht übersehen werden können – es gibt 12-jährige mit Tourette-Syndrom; das ist eine ernste Störung mit plötzlichen zwanghaften Bewegungen und Sprachäußerungen.
Allgemein gilt: Kinder mit Handicap können sich so gut entwickeln, dass sie nicht mehr vorstellig werden. Aber leider ist auch ein anderer Entwicklungsverlauf möglich.
Bei jeglicher Entwicklung ist das Umfeld des Kindes, des Jugendlichen wichtig! Bei Familie mit Problemen haben die Kinder dann ebenfalls Probleme. Bei einem aktuellen Fall wurde die Mutter mit einem Kind vorstellig, das plötzlich auffällig wurde, sich in der Schule nicht mehr konzentrieren konnte und schlechtere Noten nach Hause brachte. Sie behauptete, in der Ehe sei alles in Ordnung – ein halbes Jahr später haben sich die Eltern getrennt. Kinder sind feinfühliger, als ihre Eltern glauben.

 

GePetZt: Gibt es bei Kinder und Jugendlichen eine Heilung?
Es kann immer einen Entwicklungsverlauf geben, bei dem die Probleme sich auswachsen und die Patienten nicht mehr kommen müssen. Andererseits kann es auch passieren, dass ab der Pubertät das „Chaos im Kopf“ intensiver wird und behandelt werden muss. ADHS und Autismus sind angeboren, häufig kommen die älteren Kindern und Jugendlichen besser damit zurecht. Ab dem Alter von 8-9 Jahren kann schon die beginnende Pubertät eine neue Entwicklungsphase einleiten. Man unterscheidet in unserem sozialen System folgende Entwicklungsphasen:
Ab etwa 3 Jahren ist das Kind KiGafähig, kann für einige Zeit von der Mutter getrennt sein.
Mit etwa 6 Jahren kann das Kind autonom von der Mutter leben, Grundschule.
Ab etwa 10 Jahren erweitert sich der Radius eines Kindes, was auch mit einer weiterführenden Schule belegt wird.
Bei manchen Kindern und Jugendlichen tritt die PUBERTÄT schon mit 11 Jahren ein, im Schnitt aber eher mit 12/13 Jahren, wobei Mädchen hier früher „dran“ sind als Jungen.
Im Prinzip lässt sich sagen, alle diese Phasen gehören dazu auf dem Weg zum Erwachsenen werden.
GePetZt: Wie häufig müssen Sie Missbrauchsopfer behandeln?
Wenn man die offizielle Statistik bemüht, wird jedes vierte Mädchen und jeder zehnte Junge im Kindesalter missbraucht. Das führt für die Betroffenen zu einer akuten Traumatisierung und einer pathologischen Entwicklung. Leider kommen viele der Kinder nicht zu uns, weil sie zu getroffen sind, um über das Geschehene zu sprechen. Und Alle, die in diesem Bereich arbeiten, schätzen die Dunkelziffer viel höher.

Einen Einblick in die stationäre Kinder- und Jugendpsychiatrie im ZfP Weissenau gibt und Frau Prof. Dr. Schepker, Leiterin der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie am ZfP Weissenau.
GePetZt: Gibt es bei Kindern und Jugendlichen nicht behandelbare Fälle?
Dazu sagt man „austherapiert“, und das gibt es bei uns eigentlich nicht. In unserer Abteilung behandeln wir immer wieder mit der „Intervalltherapie“, d. h., wir bleiben an den Patienten dran, sehen sie über einen längeren Zeitraum immer wieder, bringen uns quasi immer wieder in Erinnerung – wir sind da, wir sehen dich, wir wollen dir helfen.
Es kann manchmal sein, dass bei einem depressiven Verlauf aufgrund von mangelndem Sozialverhalten alle Kontakte abbrechen, das geschieht aber meist bei älteren Kindern und Jugendlichen. Dann kann Verwahrlosung eine Rolle spielen; dass sich Niemand mehr verantwortlich fühlt, bis dieser Fall erkannt und mit einem Vormund oder Betreuer gegengesteuert wird.
GePetZt: Wie verläuft ein Aufenthalt in Ihrer Abteilung für einen Patienten?
Die Hälfte aller psychischen Störungen entstehen im Kinder- und Jugendalter. Sie verwachsen sich aber mit der Pubertät in den meisten Fällen wieder, mit steigendem Alter können die Kinder und Jugendliche z. B. bei ADHS besser mit ihren Problemen umgehen. Ängste und Zwangsstörungen verlieren sich.
GePetZt: Kommen manche Kinder und Jugendliche immer wieder? Gibt es eine „Rückfallquote“?
Wir arbeiten eng mit den örtlichen Jugendhilfen zusammen. Kinder sind stark abhängig von ihrer Umgebung, die Familie ist der wichtigste Bezugspunkt. Deshalb arbeiten wir intensiv daran, Familien zu stärken, damit gefährdete Kinder und Jugendliche in ihrem Umfeld bleiben können.

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