Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden …
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Das Gedicht „Stufen“ gehört wohl zu den bekanntesten Gedichten von Hermann Hesse. Hesse lebte von 1904-1912 mit seiner Familie in Gaienhofen am Bodensee . Dort gibt es auch ein schönes kleines Hesse-Museum. Später zog der Dichter in die Schweiz.
Im Gedicht »Stufen« spiegeln sich die vielfältigen Veränderungen in Hesses Leben: Umzüge, politische Ereignisse, Scheidungen, Krankheiten. Zweimal spitzte sich seine psychische Verfassung dramatisch zu. So gilt Hesse als »Autor der Krise«. Schreibend gelang ihm Bewältigung und Überwindung. Nicht nur im Gedicht »Stufen« , sondern auch in Romanen, die oft autobiografisch sind, bringt er dies zum Ausdruck.
Aber nun zu den »Stufen«. Ehrlich, wie oft verwenden wir das Wort »Stufen« im täglichen Umgang in einem übertragenen Sinne? Oberstufe, Unterstufe. Stufen des Lebens, Stufen der Reife, Stufen der Ausbildung, abgestuft, heruntergestuft, stufenweise, stufenlos, »Etwas« auf eine Stufe stellen , usw… es gäbe sicher noch mehr Beispiele.
Wie oft bewahrheitet sich das Goethe-Wort »Mit des Glückes Mächten, ist kein ewiger Bund zu flechten«. Menschen bleiben aus den unterschiedlichsten Gründen an einer Stelle des Lebens stehen – auf einer Stufe. Sind eine Weile nicht mehr in der Lage die nächste Stufe zu betreten. Leiden, haben Angst vor der Zukunft und dem Unbekannten.
Im Stufen-Gedicht macht der Dichter Mut. Mut zu einem »Anfang« »ihm, dem Anfang, wohnt ein Zauber inne« Keine Angst zu haben, denn der Zauber des Anfangs beschützt und hilft zu leben. Damit lockt er. Und mahnt weiter, nicht ängstlich stehen zu bleiben, ja sogar »heiter« von Stufe zu Stufe zu schreiten.
Veränderungsbereitschaft zu signalisieren, damit die oft vielfach vorhandene Hilfe angenommen werden kann und eine Chance hat.
Derjenige lebt. Der für den Wandel bereit ist.
I.S.
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Ich zähle Hermann Hesse zu den Egoisten. Seine Gefühlsduseleien decken auf, dass er sein Leben verpfuscht hat. Er handelte verantwortungslos und liess sich sponsoren. Er kuschelte mit den Reichen.