Flüchtling in Überlingen


hellblau_punktWer ein bisschen aufmerksam in den Straßen von Überlingen unterwegs ist, kann sie nicht übersehen: Menschen aus Syrien, Somalia, Eritrea und weiteren Ländern, die für mich sehr weit weg sind und in denen Krieg herrscht. Krieg, der Existenzen vernichtet und Menschen zur Flucht gezwungen hat. In Überlingen leben Flüchtlinge in drei sogenannten Gemeinschafts- und Anschlussunterkünften: in der Ottomühle, in Goldbach und demnächst im Hildegardring auf einem noch freien Stück Land. Durch die Tafel habe ich Kontakt zu Mohamed bekommen, der aus Syrien stammt und nun mit seiner Familie in einem der Wohncontainer in Goldbach lebt. Es regnet, als ich ihn besuchen will, trotzdem laufen vor den Containern viele Kinder herum oder fahren Fahrrad. Ich frage eins von den größeren Kindern nach Mohamed. Der Junge zeigt mir das Zimmer, in dem der Gesuchte wohnt, und auf mein Klopfen werde ich von einer weiblichen Stimme hereingebeten. Ich bin hier richtig, auch wenn Mohamed nicht da ist. Die freundliche Stimme gehört zu seiner Frau, sie hat ein etwa drei Jahre altes Kind auf der Hüfte und bittet mich in ein sehr aufgeräumtes Zimmer.

Ich stelle mich vor, frage, ob ich meine Schuhe ausziehen soll. Sie bittet mich Platz zu nehmen und die Schuhe anzulassen. Dann telefoniert sie mit ihrem Mann und bietet mir sehr freundlich Getränke an. Inzwischen kommt das ältere Kind heim und macht große Augen wegen meines Besuchs. Die Ehefrau geht „afrikanischen“ Kaffee kochen (das ist Kaffee mit viel Satz). Hamil, der „Große“, folgt ihr – sie setzt eine Mütze auf, bevor sie das Zimmer verlässt, ich denke, aus religiösen Gründen, aber gefragt habe ich nicht. Hamil geht nebenan in den Kindergarten Goldbach, der Kleine hat noch keinen Platz. Dafür ist er gerade intensiv in der Trotzphase, wirft die Spielsachen mit vollen Händen durch das Zimmer. Viel Platz zum Trotzen hat er nicht; ein Kind in eigener Wohnung könnte man in ein Kinderzimmer schicken, damit es sich austoben kann. Auf ca. 15 m² geht das nicht, leider. Ein Stockbett für die Kinder und zwei Zweisitzer Sofas für die Erwachsenen sind die hauptsächliche Einrichtung, dazu kommen noch ein kleiner Schrank, ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen sowie ein Kühlschrank, der natürlich auch als Ablagefläche für diverse Dinge dient: eine kleine Kaffeemaschine, Besteck.

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Das Geschirr ist im Regal über dem Schrank, außerdem dienen zwei weitere verschlossene schmale Metallspinde als Kleiderschrank. Toiletten und Duschen sind geschlechtergetrennt in jeweils einem Raum im Flur. Erinnern Sie sich an Ihre Kindheit? Da hatten Sie als Kind/Jugendliche(r) auch „nur“ ein Zimmer, aber allein oder mit einem Geschwister. Als Teil einer ganzen Wohnung, in der man sich auch noch aufhalten konnte – hier, in einem der Wohncontainer, ist sich-aus-dem-Weg-Gehen einfach nicht möglich. Als Mohamed nach einer guten halben Stunde kommt, freut er sich, dass ich da bin und fragt, ob ich Englisch mit ihm reden könne, das wäre für ihn leichter. Ja, mache ich, im Rahmen meiner Möglichkeiten, und frage ihn, wie er sich fühlt, da er nach seiner Odyssee durch verschiedene Länder und Lager (z.B. Landeserstaufnahmelager Karlsruhe) mit seiner Familie im sicheren Deutschland angekommen ist. Er meint, dass er glücklich sei, weil seine Familie in Sicherheit ist. Aber die Unterbringung sei miserabel – zuhause hätten sie ein eigenes Haus gehabt, er eine feste Arbeit als Ingenieur, die ihm Freude gemacht habe. Als der Entschluss zur Flucht feststand, haben sie alles verkauft und sich auf das Nötigste reduziert. Sie mussten fliehen, weil Rebellen ihre Heimatstadt erobert haben und die Lebensbedingungen sehr schlecht geworden sind.

Mohamed war in akuter Lebensgefahr – wäre er auf der Straße von den Rebellen erwischt worden, hätten sie ihn sofort umgebracht (weil er als erwachsener Mann ja Soldat sein könnte). Deswegen ist die Familie geflüchtet. Die Verhältnisse sind sehr beengt, das sagt Mohamed immer wieder im Interview; wäre er nicht in der Tafel zur freiwilligen Hilfe und jeden Vormittag im Sprachkurs, wäre das Konfliktpotential innerhalb der Familie und auch unter den Mitbewohnern viel höher. Ja, die Familie lebt jetzt in Deutschland. Aber trotz der Sprachkurse sind die Deutschkenntnisse von Mohamed immer noch dürftig. Und so richtig sieht er die Notwendigkeit, Deutsch zu lernen, auch nicht ein. Schließlich will er mit seiner Familie sobald wie möglich zurück. Aber wann wird das sein? Und wäre es nicht gut, mit „den Deutschen“ in ihrer Sprache reden zu können? Er zuckt mit den Schultern, die meisten könnten ja Englisch. Ein Interview mit Höhen und Tiefen, mit einem klaren Fazit: Diese Flüchtlinge wollen zurück nach Hause. Sobald wie möglich. Sie wollten nicht fort aus ihrer Heimat, so sehen sie es noch immer, sie wollen zurück, sobald man dort wieder in Frieden und Sicherheit leben kann. Neues aufbauen, wieder mit ihrer Familie leben und für alles selber sorgen können.
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