Stress und Resilienz


Definition – Ursachen – Bewältigungsstrategien

gruner_punktVon den gut 41 Millionen Arbeitnehmern in Deutschland fühlen sich 10% ständig und 22% häufig gestresst. Als häufigster Stressfaktor werden Beruf, Schule, Studium angegeben, aber auch finanzielle Sorgen und persönliche Konflikte rangieren ganz oben auf der Stressliste.

In einer Fernsehreportage auf 3sat wurde die Meinung vertreten, dass unsere „Leistungsgesellschaft“ in eine „Müdigkeitsgesellschaft“ übergeht. Die Ansprüche an den einzelnen würden steigen. Wir sollten schön sein, erfolgreich, Statussymbole anhäufen. Und das unter gesteigertem Zeitdruck. Wir müssten überall und immer verfügbar, auf sämtlichen sozialen Netzwerken omnipräsent sein. Da kann einem dann schon mal die Puste ausgehen und/oder die Orientierung abhanden kommen!

Was ist Stress?
Stress kommt aus dem englischen und bedeutet „Druck, Kraft.“ Der Begriff wurde 1936 von Hans Selye geprägt. „Stress ist eine unspezifische Reaktion des Körpers auf eine Belastung.“ Der Körper erfährt Widerstand durch äußere oder innere Reize, und versucht sich anzupassen, zu adaptieren (Adaptionssyndrom).

Stress wird individuell verarbeitet, dass heißt je nach eigener Einschätzung erlebt der Mensch Stress als positive Aktivierung des Organismus (Eustress, griechisch eu =gut) oder als negative, belastende Reaktion (Distress).

Für den Einen bedeutet eine Fahrt in der Achterbahn das pure Vergnügen, beim Anderen stellen sich die Nackenhaare auf vor Angst, er ist extrem gestresst.

Der Körper durchläuft bei negativem Stress drei Phasen, nach Selye als Adaptionssyndrom bezeichnet:

1. Alarmreaktion:
Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol (Hormon der Nebennierenrinde) werden ausgeschüttet, der Körper reagiert mit erhöhtem Herzschlag, der Blutdruck steigt, der Blutzucker, die Bronchien erweitern sich usw.

2. Resistenz, Widerstand:
Die Stresshormone sind weiterhin erhöht. Allerdings beginnt das parasympathische Nervensystem mit der Gegenregulation.

Der Kortisonspiegel im Blut sinkt, dadurch wird das Immunsystem empfindlicher.
So wird der Körper anfälliger für Entzündungen, Bakterien, Viren. Falls der Sress-Level anhält kommt es zum Erschöpfungssyndrom.

3. Erschöpfungssyndrom:
Die Regulationssysteme des Körpers sind aus dem Gleichgewicht geraten. Er weiß nicht mehr, was er tun soll. In dieser Phase kann es zu Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen etc. kommen, der Körper kann krank werden – oder die Psyche.

Stress an sich muss nicht gesundheitsgefährdend sein. Im Gegenteil. Ursprünglich ist Stress ein uraltes Programm, um Leben zu retten: Adrenalin wird ausgeschüttet, damit der Mensch bei Gefahr flüchten oder kämpfen kann. Stress spornt dazu an, seine Leistungen zu optimieren. Jede körperliche oder geistige Anstrengung, jede Problemlösung benötigt ein gewisses Ausmaß an Stressenergie.

Der Knackpunkt ist, dass Stress gefährlich wird, wenn wir nicht angemessen adaptieren können, das heißt, wenn unser Körper unter Daueranspannung bleibt und Noradrenalin keine natürliche Ableitung mehr findet. Außerdem gerät der Körper in Not, wenn Erholungsphasen ausbleiben.

Es gibt unterschiedliche Stresstheorien und daher auch unterschiedliche Bewältigungstechniken.

Um auf die physiologische Ebene einzuwirken, wären beispielsweise Entspannungstechniken, Meditation, Biofeedback, Sport etc. angebracht.

Auch auf das eigene Verhalten bei Stress kann man Einfluss nehmen. Die Verhaltenspsychologie spricht vom „adäquaten coping“ (vom englischen: to cope with = »bewältigen«, »überwinden«), also von Verhaltensstrategien, um auf Stress adäquat (angemessen) zu reagieren. Der Mensch lernt, Situationen anders zu interpretieren und zu bewerten, sie können sogar als positive Herausforderung wirken.

„Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern unsere Meinung über die Dinge“ (Seneca)

Gibt es vielleicht organische Ursachen, ein Gen, das uns beeinflusst?

Wissenschaftler haben entdeckt, dass es tatsächlich ein Gen gibt, das Menschen widerstandsfähiger, resilienter macht. Es heißt HTTLPR. Ein Gen, das den Serotonin-Stoffwechsel reguliert. Serotonin wird im Volksmund auch gerne als Glückshormon bezeichnet. Dabei liegt das Gen in zwei unterschiedlichen Formen vor. Es gibt das Gen in langkettiger Form und in kurzkettiger. Menschen, die über die langkettige Version verfügen, sind stabiler als jene, die die kurzkettige besitzen.
Ebenso ist HTTLPR für die Produktion des Enzyms zuständig, dass Noradrenalin abbaut. Bei Menschen mit einer kurzkettigen Version des Gens reagiert die Amygdala des Gehirns schneller mit Furcht.

Es wäre aber gewagt zu sagen, dass unsere Widerstandsfähigkeit nur genetisch determiniert ist. Die DNA ist nicht statisch. So wirken sowohl negative Ereignisse (Traumata) als auch positive Ereignisse aus unserer Umwelt auf uns und das Gehirn (epigenetische Veränderungen).

Als Konsequenz daraus können wir also durchaus etwas an unserem Schicksal ändern. Wir können Fähigkeiten zu einer erhöhten Widerstandsfähigkeit auch erlernen.

In den letzten Jahrzehnten hat sich eine Forschungsrichtung entwickelt, die den Begriff Resilienz (aus dem lateinischen „resilire abprallen“, aus dem engl. „resilience Elastizität“) geprägt hat. In der Physik bedeutet dieser Begriff, die Fähigkeit eines Werkstoffes sich verformen zu lassen, und in seine ursprüngliche Form zurückzukehren.

Die Psychologin Emmy Werner (University of California) hat in ihrer „Kauai-Studie“ 700 Kinder über vier Jahrzehnte begleitet und Erstaunliches festgestellt. Von 200 Kindern, die in widrigen Lebensumständen (wie Armut…) aufgewachsen sind, haben 2/3 der Gruppe psychische Schädigungen davongetragen, 1/3 jedoch hat sich gut entwickelt und ist zu Erwachsenen mit Familie und guten, sozialem Hintergrund geworden.
Bei dieser letzten Gruppe hat sich herausgestellt, dass die Kinder folgende Schutzfaktoren ihrer feindlichen Lebenssituation gegenüber hatten:

1. Sie hatten eine Vertrauensperson oder eine Bezugsperson, die zuverlässig und über eine längere Zeit für sie da war. Dies konnten die Eltern sein, aber auch andere Personen wie Lehrer, Verwandte etc.

2. Sie mussten Verantwortung entwickeln. Einige Kinder haben für ihre Geschwister gesorgt, andere haben Aufgaben oder Ämter bsp. in der Schule übernommen.

3. Diese resiliente Gruppe zeigte individuelle Eigenschaften (Offenheit, nicht so leicht erregbar, ruhiges Temperament), die die Kinder gegen schlimme Erfahrungen puffern konnten.
Es gilt also daher, unseren Kindern etwas mitzugeben, dass sie Herausforderungen des Lebens besser meistern können. Wer sich speziell für dieses Thema interessiert, soll sich einmal die Studie von der Politikwissenschaftlerin Erika Zander anschauen. Diese hat in Köln drei Jahre lang mit Flüchtlingskindern gearbeitet, also mit „Hochrisiko-Kindern“, die eine schwere Ausgangsposition haben. Die Pädagogen waren starke Bezugspersonen, die die Kommunikationsfähigkeit förderten, dafür sorgten, dass die Kinder Anerkennung in der Gruppe erfuhren. Sie steigerten das Selbstwertgefühl durch machbare, lösbare Aufgaben und gaben den Kindern Sicherheit.

Dies sind auch die Grundsteine für unsere Resilienz im Erwachsenenalter. Auch im Erwachsenenalter sind wir dem Schicksal nicht ausgeliefert und können aus der Opferrolle ausbrechen. Leider ist es ja oft so, dass Menschen mit traumatischen Erlebnissen sich in einer „kognitiven Triade“ (Aaron Benz, Begründer der kognitiven Verhaltenstherapie) verfangen. Sie personalisieren, generalisieren (alle Menschen sind schlecht), sie katastrophisieren.

Resilienz ist eine lebenslange Aufgabe. Mir hat das Bild vom Bambus gefallen. Sei biegsam wie der Bambus, wende dich nicht gegen den Wind, sondern mit ihm. Wir können innerlich wachsen, wenn wir biegsam bleiben, flexibel, nicht starr in unseren Haltungen und Denkweisen, eigene Ressourcen und Fähigkeiten entwickeln und stärken – auch gemeinsam mit anderen. Der Weg ist, dass man sich selbst als wertvoll erleben und durch eigenes Handeln Veränderungen bewirken kann. Resiliente Personen haben ein reales Bild ihrer eigenen Fähigkeiten und haben gelernt, dass sie es sind, die über ihr eigenes Schicksal bestimmen.

E.T. 

Einige Hilfreiche Kernpunkte der Resilienz:
1. Suche dir einen Freund.
2. Sei anderen ein Freund.
3. Fühle dich für dein Handeln verantwortlich.
4. Glaube an dich selbst.

Interessantes zu diesem Thema ist zu finden unter:
http://resilienzforum.das-bambus-prinzip.de
und in der 3sat.online Mediathek/“Was die Seele stark macht“/scobel.

Außerdem zwei Buchempfehlungen:
– Boris Cyrulnik „Rette dich das Leben ruft“
-„Resilienz“ von Klaus Fröhlich-Gildhoff und
Maike Rönnau-Böse

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