Liebe ist nie behindert


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Als Frau kann ich kaum aus der Warte der betroffenen Männer schreiben, aber sehr wohl nachfühlen, was in ihnen vorgeht, wenn sie mit dem Gedanken konfrontiert werden, keine Kinder zeugen zu können oder Ihnen erklärt wird dies nicht zu dürfen, weil sie aufgrund ihrer Diagnose Medikamente einnehmen, die entweder ein Kind schädigen oder die Zeugung unmöglich machen würden.
Um dies auf einer neutraleren, nicht gefühlsbetonten Ebene diskutieren zu können, habe ich aus meiner eigenen Situation heraus überlegt, welche medizinischen Argumente oder Ergebnisse aus der Forschung den Betroffenen hier helfen oder dienen könnten, um dem eigenen Schicksal freundlicher und entspannter entgegen zu treten und sich letztendlich damit zu arrangieren oder den mutigen Schritt doch noch zu fassen, eine Familie zu gründen.
Mein erstes Kind war wirklich eine Fehlgeburt. Ursachenforschung ist immer schwierig, aber man konnte damals schon feststellen, dass ich die Blutgruppe 0 Rhesus negativ besitze, und mir wurden Anti-D-Antikörper gespritzt, weil der Vater die Blutgruppe A Rhesus positiv besitzt. Rhesus-positive Menschen tragen auf ihrer Oberfläche ein »D-Antigen« (Rhesusfaktor »D«). Rhesus-negative Menschen haben dieses Antigen nicht. Da er damals 1991 schon über 40 Jahre alt war, wurde mir auch angeraten, bei einer zweiten Schwangerschaft eine Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) durchführen zu lassen. Das Glück wieder schwanger zu werden war mir ein halbes Jahr später schon hold.
Also fuhr ich in der 16. Schwangerschaftswoche zu Dr. med. Herbert Draeger, Gynäkologe damals noch im Krankenhaus Laupheim tätig, seit 1992 mit eigener Praxis in Friedrichshafen. Er gilt als Koryphäe auf dem Gebiet der pränatalen Diagnostik. Was bei der Fruchtwasseruntersuchung eben festgestellt werden kann, ist Trisomie 21, das sog. Downsyndrom. Nun verfolgte mich – wirklich auch über alle drei folgenden Schwangerschaften hinweg – die Angst, ein behindertes Kind zu bekommen. Nicht weil ich ein behindertes Kind nicht annehmen und lieben würde, sondern weil die Angst, es in ein Heim geben zu müssen , groß war. Denn von Behinderten-Anstalten hatte ich als Kleinkind schon traumatische Erlebnisse jahrelang mit mir herumgetragen.
Da ich eine sehr großen Großfamilie entstamme, ist es schon innerhalb dieser Familie rein mathematisch möglich einfach lineare Abfolge zu erkennen. Fehlgeburten werden so als normal und natürlich relativiert, ich kenne außerdem kaum eine Frau, die keine Fehlgeburt hatte, unabhängig von Alter, Beruf, Bildung. Und vor allem: behinderte Kinder sind nach dieser linearen Abfolge ebenfalls normal und ganz natürlich. Es ist anhand meiner Statistik nachvollziehbar, dass jede dritte Schwangerschaft ein behindertes Kind sein kann oder eine Fehlgeburt.

Mein Trauma aus der Kindheit rührt aus Erlebnissen in der Stiftung Liebenau Ende der 60-iger Jahre. Meine Cousine Veronika, heute 66 Jahre alt, war eine Saugglocken-Geburt. Das kleine Gehirn erlitt dadurch bei der Geburt einen irreparablen Schaden. Bereits im Alter von 2-3 Jahren war erkennbar, dass sie sich alleine nie versorgen könnte. Sie kann nicht sprechen und nicht gehen. Sie lebt seither in der Stiftung Liebenau. Bei einem Besuch dort Ende der 60-iger Jahre ging ich mutig alleine zur Toilette, doch ich kam nicht mehr heraus. Zwei geistig behinderte Frauen hielten die Tür zu und lachten laut schallend. Das kann ich heute noch hören. Erst nach 20 Jahren konnte ich mich überwinden. Ich fuhr meine Tante, die damals in Stuttgart wohnte, bei einem Besuch am Bodensee zur Liebenau. Ich aber blieb allein im Auto sitzen. Konnte jedoch zu meiner Erleichterung von außen erkennen, dass dieses alte Gebäude so nicht mehr existierte. Seit ca. 10 Jahren ist die ganze Wohngruppe outgesorct in ein neues Gebäude in Leutkirch bei Wangen. Ich bin froh, dass sich diese kahle, kalte Welt so wunderschön zum Positiven verändert hat und wie die jungen Menschen, die dort arbeiten, mit den Bewohnern umgehen, war für mich beim ersten Besuch sehr entspannend, womit die traumatischen Erlebnisse aus der Kindheit wieder gut gemacht waren.
Was möchte ich damit sagen, wenn ich diese Geschichte so erzähle. Die Zeiten ändern sich, Inklusion wird schon lange vorangetrieben. Der Umgang mit den behinderten Menschen wird normalisiert, in den Alltag einbezogen, akzeptiert. Natürlich kostet es mehr Geld, aber seien wir mal ehrlich, wofür wird alleine schon in Deutschland recht unsinnig Geld verschwendet und kaum Einer wird zur Rechenschaft gezogen. Und die Hetze in den Zeitungen wie: Dicke sollen weniger essen, Psychisch Kranke sind selbst schuld, Diabetiker sollen sich mehr bewegen und auf Zucker verzichten, weil sie alle das Krankenversicherungssystem belasten. Diese Hetze kann und will ich echt nicht mehr lesen.

Das Thema Kinderwunsch ist für meine Begriffe im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen ein sehr heikles Thema. Jedoch kann ich gleich vorwegnehmen, dass die rechtliche Situation sich eindeutig für den Erhalt der Familie ausspricht. Man darf behinderten Menschen die Kinder nicht entziehen. Das spricht gegen die EU Behindertenrechtskonvention.
Eine sehr persönliche Geschichte z. B., die beschreibt, wie zwei geistig behinderte Menschen ein Kind großziehen und welche Hilfe sie erhalten, dürft Ihr gern in einem Bericht auf Spiegel Online nachlesen. Der Titel des Berichts lautet: Geistig beeinträchtigte Eltern: Liebe ist nie behindert.
(http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/geistig-behinderte-eltern-schwierige-frage-um-das-sorgerecht-a-996890.html)

»Denn wir können die Kinder nach unserem Sinne nicht formen, so wie Gott sie uns gab, so muss man sie haben und lieben.« (Johann Wolfgang von Goethe)

Daniela S.