Deutscher Herbst 1977


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„Augenmännchen, das durch die Zeit läuft“ · Illustration Christian Lord

orange_punktIm Archiv des WDR finden wir erklärende Worte: »Der so genannte Deutsche Herbst bildete den Höhepunkt des Terror-Jahres 1977. Sechs Wochen, die die Republik veränderten. Schleyer-Entführung, die Kaperung der Lufthansa-Maschine »Landshut« und tote RAF-Häftlinge im Hochsicherheitstrakt der JVA Stuttgart-Stammheim. Bereits am 4. August 1977, einen Monat vor der Entführung, hatte die Bild-Zeitung getitelt: »Schleyer soll der nächste sein«. Das 25. Bekennerschreiben der »Roten Armee Fraktion« (RAF) bringt am 19. Oktober 1977 die tödliche Gewissheit. Der entführte Arbeitgeber-Präsident, für die Terroristen eine der Symbolfiguren des verhassten Kapitalismus, ist tot. Bonn reagierte zwar zuvor mit Rasterfahndung, Straßen- und Nachrichtensperren sowie umstrittenen Anti-Terror-Gesetzen, jedoch ohne Erfolg. Auf Videobändern, die die RAF den Behörden schickte, beklagte sich der Entführte zunehmend über die Haltung der Regierung: »Ich habe nie um mein Leben gewinselt. Was sich aber seit Tagen abspielt, ist Menschenquälerei ohne Sinn.« Und weiter: »Ich bin nicht bereit, lautlos aus diesem Leben abzutreten, um die Fehler der Regierung und die Unzulänglichkeit des hochgejubelten Chefs des Bundeskriminalamtes zu decken.«

„Augenmännchen, das durch die Zeit läuft“ · Illustration Christian Lord

Wer war die RAF? Hat sie in der heutigen Zeit, obwohl sie sich auflöste, immer noch Relevanz?
Als Geburtsstunde der RAF – von den Behörden auch Baader-Meinhof-Bande genannt – gilt der 14. Mai 1970. Ex-Journalistin Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und weitere Aktivisten befreien Baader gewaltsam aus der Haft und flüchten nach Jordanien, wo sie von palästinensischen Guerillas im »bewaffneten Kampf« ausgebildet werden. Das Ziel der RAF war, durch systematische Gewalt gegen Repräsentanten von Staat und Wirtschaft die »herrschende Schicht« anzugreifen und die »unterdrückte Klasse« zu mobilisieren. Die Mehrheit der Bevölkerung solidarisierte sich jedoch mit der politischen Führung und nicht mit ihren militanten Gegnern.
Im Sommer 1972 wurden mehrere führende RAF-Mitglieder festgenommen. Dazu gehörten auch Baader, Ensslin und Meinhof. Zwei Jahre später führte der Tod von Holger Meins nach einem Hungerstreik der RAF-Häftlinge zu einer Radikalisierung. Generalbundesanwalt Siegfried Buback, Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto und Arbeitgeber-Präsident Hanns Martin Schleyer gehören zu den Opfern. Drei Tage später stürmt die GSG 9, eine Eliteeinheit des Bundesgrenzschutzes, in Mogadischu die »Landshut« und befreit die 90 Geiseln. Die Terroristen Baader, Ensslin und Raspe werden im Stammheimer Gefängnis tot aufgefunden. Die Behörden sprechen von Selbstmord. Durch die Tode in Stammheim ist Schleyer als Geisel für die RAF wertlos geworden. Sein Todesurteil ist gefällt. Wer Schleyer erschossen hat, ist bis heute ungeklärt.
Im Bericht des WDR ist nichts von Christian Klar zu lesen. Wikipedia hingegen teilt mit: »Christian Klar wurde 1985 vom Oberlandesgericht Stuttgart wegen neunfachen, gemeinschaftlich begangenen Mordes und elffachen Mordversuchs verurteilt.« Vor dem Gesetz wird Klar jedoch wie jeder andere Mörder behandelt. Reue ist für eine vorzeitige Entlassung aus der Haft nicht notwendig. Am 19. Dezember 2008 wurde Christian Klar auf Bewährung entlassen. Die Entlassung erfolgte vor dem festgesetzten Termin, da sich Klar in der Haft Freistellungstage erarbeitet hatte, die ihm angerechnet wurden. Aus Protest gegen die Haftentlassung gab Jürgen Vietor, Copilot während der Entführung des Flugzeugs Landshut durch ein palästinensisches Terrorkommando, sein Bundesverdienstkreuz zurück, da Klars Freilassung »alle Opfer der RAF, seien sie tot oder noch am Leben, verhöhne«.
Interessant sind die von Anne Siemens veröffentlichten Bücher: »Opfern ein Gesicht geben« und „Für die RAF war er das System, für mich der Vater«. Darin kommen Angehörige der Opfer und Überlebende des Terrors zu Wort. Sie schildern die Ereignisse aus ihrer Sicht. Es ging ihr darum, den Blick auf die Geschichte der RAF zu erweitern, die eben nicht nur eine Täter-Geschichte ist. Siemens möchte nicht missverstanden werden. Ihr Ansatz ist nicht, die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Täter zu tabuisieren oder zu beschneiden. Für einige Gesprächspartner gab es noch eine zweite Motivation. Sie wollten der Tendenz einer Verharmlosung oder Verklärung der RAF etwas entgegensetzen. »Der Staat hat in den 70er Jahren nicht alle Möglichkeiten zur Geiselbefreiung genutzt«, sagen Angehörige von RAF-Opfern. Siemens: »Die Krisenstäbe 1975 und 1977 haben entschieden, nicht auszutauschen, was bedeutet, dass Geiseln in Folge dieser Entscheidung ermordet wurden.« Der damalige SPD Bundeskanzler Helmut Schmidt war mit seinen Krisenstäben in vielen Fällen einer der wichtigen Entscheidungsträger. Seine Erinnerungen an die Opfer, aber auch zum Beispiel an die Vorgänge der Schleyer-Entführung runden das Bild ab. Die Kritik der Familie Schleyer an der damaligen Vorgehensweise der Bundesregierung empfindet Helmut Schmidt als verständlich und moralisch in Ordnung. Den teils in der Öffentlichkeit kursierenden Vorwurf, so Helmut Schmidt, Hanns Martin Schleyer sei geopfert worden, weise er aber zurück. Auf die Frage, ob er Schuld an den Morden von 1975 und 1977 empfinde, sagt er: »Mitschuld, schon. Aber es sei in beiden Fällen kaum möglich gewesen, keine Schuld auf sich zu laden – kein Versäumnis zu begehen, trotz allen Bemühens.«

»Ohne Vietnamkrieg keine RAF – ohne Isolationshaft kein Deutscher Herbst«

Im WDR Bericht von Dominik Reinle teilte Ex-RAF-Mitglied Klaus Jünschke mit: »…die RAF war ein historischer Irrtum. Von uns wurden Menschen ermordet. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. Aber auch der Staat habe Fehler begangen«, sagt er und fordert eine Aufarbeitung auf beiden Seiten.

»Wenn heute ein junger Mann zu mir sagen würde, ich mache jetzt bewaffneten Kampf in der Bundesrepublik – den würde ich im Keller anbinden!« Heute ist er als Autor tätig und arbeitet mit straffälligen Jugendlichen und sozial benachteiligten Kindern.

»Unser Engagement trug die richtige Moral in sich: gegen den Völkermord in Vietnam, für die weltweite Gerechtigkeit«, erklärt Jünschke. »Aber wir haben die falschen Mittel und Methoden gewählt.« Jünschke hat die RAF erstmals 1986 in einem offenen Brief aufgefordert, die Waffen niederzulegen: »Diese destruktive Praxis macht niemandem mehr Hoffnung auf Freiheit und Glück.« Für ihn ist es »eine der Tragödien der RAF«, dass bei solchen Überfällen Menschen für Geld getötet wurden. Das passe nicht zusammen mit der Kritik an Kapitalisten, die für ihren Profit über Leichen gingen. »In so einer Situation hätte man die Größe haben müssen, sich festnehmen zu lassen, statt jemanden zu töten.« Er will aber nicht die RAF-Morde rechtfertigen, sondern geschichtliche Zusammenhänge aufzeigen. »Wir haben heute eine Diskussion, in der die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Gründe der Entstehung der RAF ausgeblendet sind«, kritisiert Klaus Jünschke. »Man tut so, als sei die Wahrheit über die RAF eine Frage, wer hat was wann wo wie gemacht.« Wer aber aus der Geschichte der RAF lernen will, müsse sich die damalige Zeit vergegenwärtigen. Für die erste RAF-Generation gilt: „Ohne den Vietnamkrieg hätte es keine bewaffnete Organisation gegeben«, sagt Jünschke. Dieser Krieg habe die Frage aufgeworfen: »Wie kann man vom Protest zum Widerstand kommen und den Vietnamesen tatsächlich helfen?« Die Antwort der RAF: »Durch Angriffe auf amerikanische Einrichtungen«. Das sei anfangs »von Tausenden oder Zehntausenden« in der Bundesrepublik befürwortet worden.

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„Augenmännchen, das durch die Zeit läuft“ · Illustration Christian Lord

»Es waren nicht innere Ursachen in den Köpfen einiger Akteure«, sagt Jünschke, »sondern äußere Umstände, die dazu geführt haben, dass ein Teil der Protestgeneration zu den Waffen gegriffen hat. Dazu gehörten, so Jünschke, der Vietnamkrieg und andere Befreiungskämpfe in Lateinamerika, Asien, Afrika. Wir dachten, wir sind in einer weltrevolutionären Situation.« Die Entwicklung innerhalb der Bundesrepublik hatte dieses Gefühl in der linken Szene noch verstärkt. Das von vielen als autoritär empfundene Klima wurde durch die Erschießung von Benno Ohnesorg, das Attentat auf Rudi Dutschke und die Notstandsgesetze weiter angeheizt. »Wir hatten Angst vor der Wiederkehr des Faschismus«, sagt Jünschke. Er fühlt sich durch die linken Globalisierungskritiker von heute bestätigt: »Nach wie vor herrschen weltweit Ungerechtigkeit und Ausbeutung. Seit den 60er Jahren sterben nach UN-Angaben Jahr für Jahr 50 Millionen Menschen an Hunger und leicht heilbaren Krankheiten.« Aber bis heute fühle sich »unsere Gesellschaft« dafür nicht mitverantwortlich. Das birgt für Jünschke weiteren Konfliktstoff: »Wenn wir unsere Form des Wirtschaftens nicht beenden, kommen Kontinente wie Afrika in Bewegung – und zwar Richtung Europa.« Auch der islamistische Terror werde durch globale Ungerechtigkeit angeheizt.
Das Interview wurde 2007 im WDR veröffentlicht, 30 Jahre nach dem Deutschen Herbst 1977, vor 8 Jahren. Hat sich etwas zum Positiven verändert? Auf jeden Fall hat Jünschke einige Dinge doch zutreffend vorausgesehen wie z.B. dass Afrika aufgrund islamistischen Terrors in Richtung Europa in Bewegung komme. Oder war dies der Plan? Wobei schon Nostradamus Ähnliches prophezeite!
»Ich engagiere mich nach wie vor für den Abbau sozialer Ungleichheiten«, sagt Jünschke, der in seiner Haftzeit Sozialwissenschaften studiert hat. »Die Hauptursache von Gewalt liegt in asymmetrischen Sozialbeziehungen – zwischen Eltern und Kindern, zwischen den Geschlechtern, in den internationalen Beziehungen. Herrschaft ist Gewalt.« Jünschke leitet seit 1993 eine Gesprächsgruppe in der Jugendabteilung im Gefängnis Köln-Ossendorf. Zusammen mit den straffälligen Jugendlichen hat er in einer Erzählwerkstatt Texte über ihre Situation erarbeitet, die im April 2007 unter dem Titel »Pop Shop« als Buch erschienen sind. Daneben hat Jünschke als Vorstandsmitglied des »Kölner Appells gegen Rassismus« im Stadtteil Ehrenfeld weitere soziale Projekte mitentwickelt. Dazu gehört eine Hausaufgabenhilfe für Flüchtlings- und Migrantenkinder.
Damit knüpft Jünschke an die Zeit vor der RAF-Gründung an. Damals waren auch Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Andreas Baader in sozialen Projekten engagiert. Mit dieser Arbeit hätten sie »einen Schlüssel schon in der Hand« gehabt, schreibt Jünschke 1986 in seinem offenen Brief an die RAF: »Diese Gesellschaft lässt sich durch die Integration der Randgruppen verändern und nicht über das Abknallen von Spitzen aus Wirtschaft, Politik und Militär.«
Nach 28 Jahren ist die RAF am Ende. Sie hat ihr Ziel, den politischen Umsturz in der Bundesrepublik, nicht erreicht. Auf das Konto der selbst ernannten »Stadtguerilla« gehen 34 Morde. Angefangen hat alles mit zwei Kaufhausbränden. Nach der »Offensive 77« zeigen sich bei der RAF erste Auflösungserscheinungen. Etliche Terroristen tauchen Anfang der 80er Jahre in der DDR unter, werden nach der Wende aber enttarnt und vor Gericht gestellt. Doch die mittlerweile dritte Generation der Terroristen mordet weiter. 1993 gerät die RAF ein weiteres Mal in die Schlagzeilen, doch der gegen »Imperialismus und Monokapitalismus« gerichtete Terror ist ebenfalls am Ende. Im März 1998 erklärt die RAF ihre Auflösung: »Vor 28 Jahren am 14. Mai 1970 entstand aus einer Befreiungsaktion die RAF. Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte.«
Ob bis dato wirklich alle ehemaligen Mitglieder der RAF, die in die DDR fliehen konnten, dingfest gemacht wurden, erfahren wir nie.
Was wir jedoch gut nachvollziehen können ist, dass gegen den Hungertod in der 3. Welt zu wenig getan wird, die Diktaturen sogar noch gefestigt werden und Flüchtlingsströme das Resultat sind. Wer sind die wahren Terroristen? Schon die RAF trainierte im Nahen Osten, wo sind die Ableger heute? Die Rechtsextremen Gruppierungen im Osten? Und wer fördert deren Nachwuchs? Beendet den Krieg, innen wie außen, baut zerstörte Städte wieder auf wie die Trümmerfrauen nach dem 2. Weltkrieg. Investiert in sozialen Wohnungsbau. Wo sind die »Kostolanys« und »GröBaZ« (Größte Bauträger aller Zeiten) der Neuen Generation? Laut Heiner Geißler, Generalsekretär CDU – MdB a.D., gibt es Geld wie Dreck auf dieser Welt, nur ist es im Besitz der Falschen. Gebt den Menschen sinnstiftende Arbeit und Beschäftigung. Das kann für Unternehmer auch attraktiv sein. Behebt soziale Ungerechtigkeiten. Denn es ist Herbst und der Winter naht!

Quellen:
http://www1.wdr.de/themen/archiv/sp_deutscher_herbst/uebersicht_raf100.html
Wikipedia