Brief an meine Schwester – Eine Buchbesprechung


gruner_punktLeslie Malton mit Roswitha Quadflieg
Aufbau-Verlag Berlin,2015
Dieses Buch gefällt mir, weil …. eine bekannte Schauspielerin
mit viel Einfühlungsvermögen von ihrer Schwester berichtet.
Marion lebt in Amerika und leidet an einer Behinderung, ist
„gehandicapt“, wie man in den Staaten sagt. Die Schwestern
wurden mit 11 Monaten Abstand geboren, der Altersunterschied
ist also minimal, fast könnten sie Zwillinge sein. Aber
bei der zweitgeborenen Schwester stockt im frühen Alter die
Entwicklung, was sie bis dahin gelernt hat, verliert sich wieder.
Die Ältere war immer für die Jüngere zuständig; die Ältere
kümmerte sich – und kümmert sich auch heute noch. Die
Schwestern sind sich nah, auch wenn sie durch einen Ozean
getrennt sind. Sprechen kann Marion nicht mehr, Leslie versteht
sie trotzdem und hat Möglichkeiten, sie aufzuheitern,
wenn sie ganz selten einmal schlechte Laune hat. Sie singt ihr
beispielsweise Lieder aus der Kindheit vor und holt so gute
Erinnerungen zurück ins Bewusstsein.
Als Leserin mit dem gleichen Vornamen bin ich berührt von
der Lebensgeschichte von Marion und fühle mich mit ihr im
eigenen Käfig gefangen. Sie kann nicht mehr sprechen und
ist unfähig, ihre Bedürfnisse klar zu äußern. Die Machtlosigkeit
der älteren Schwester, die ihre KindheitsSchwester aus
früherer Zeit sehr gerne näher bei sich hätte wird deutlich.
Sie ist auch diejenige, die der Krankheit schließlich einen Namen
geben kann: 2012 liest sie zufällig einen Zeitungsartikel,
in dem die Symptome ihrer Schwester beschrieben sind:
Rett-Syndrom.
Leslie Malton sagt, sie verdanke ihrer Schwester ihre Karriere
als Schauspielerin, weil sie Rituale entwickeln musste, um
mit ihr kommunizieren zu können. Das half ihr weiter bei
der Aktion auf der Bühne, hat sie überhaupt erst auf die Idee
gebracht, diesen Berufsweg einzuschlagen.
Leslie Malton engagiert sich für Betroffene und deren Angehörige,
ist Botschafterin der „Elternhilfe für Kinder mit Rett-
Syndrom in Deutschland e.V.“

gruner_punktLue

Buchcover, Aufbau-Verlag Berlin, 2015

Rett-Syndrom (benannt nach dem Wiener Arzt Andreas Rett, der die Erkrankung 1966 erstmals beschrieben hat):
In Deutschland kommen jährlich etwa 50 Mädchen mit dem Rett-Syndrom zur Welt. Männliche Föten, die das
auslösende defekte Gen in sich tragen, sterben meist im Mutterleib. Schätzungsweise 2500 bis 4000 Mädchen und
Frauen mit Rett-Syndrom leben momentan in Deutschland. Die Dunkelziffer ist hoch, weil die Krankheit noch
immer viel zu wenig bekannt ist.
Nach anfänglicher normaler Entwicklung kommt es zwischen dem fünften und 18. Lebensmonat des Kindes zu
einem Entwicklungsstillstand. Alles, was das Kind bis dahin schon lernte, geht wieder verloren. Die Mädchen
bleiben bis zum Ende ihres Lebens in höchstem Maße eingeschränkt.